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Montag, 3. Dezember 2012

Erzähl mir was

Am vergangenen Freitag war es mal an der Zeit für ein kleines Experiment: ausgehend von der Prämisse, dass wir alle narrative Wesen sind, unsere Leben wie eine Geschichte stricken, es sequenzieren, weglassen und hinzufügen, so daß vieles (vielleicht sogar alles) im Rückblick etwas außerordentlich Stringentes hat, wollte ich wahllos Menschen bitten, mir eine Geschichte aus ihrem Leben zu erzählen.

Also habe ich mir einen Tisch besorgt, mich in einen der Ausstellungsräume gesetzt, mein Mikrofon aufgestellt und professionell in die Gegend geschaut. 

Mir war schon klar, dass ich eine Alternative vorbereiten muss, einen Fragebogen zum Beispiel, weil manchen die Bitte "Erzähl mir etwas" (verständlich auch) bestimmt überfordern würde.

Hier ist ein Auszug der Ergebnisse:


Maja, 29. Volonteer 

Wer ist Dein Lieblingsautor? 

Hermann Hesse

Welches Ereignis in Deinem Leben würdest Du als wegweisend bezeichnen?

Das Ende meiner letzten Beziehung. Ich habe Schluss gemacht und das war sehr wichtig für mich, endlich loszukommen. Danach habe ich bei einem kroatischen Film gearbeitet, auf einer Insel, und das war unheimlich befreiend, säubernd. Meine ganze Energie hat sich dadurch geändert, von negativ zu positiv.

Was ist Dein Traum vom Glück?

Frieden. Aber den muss jeder in sich selbst finden.

Hast Du ein Lebensmotto?

Versuche in Allem das Gute zu finden.

Was gefällt Dir an Maribor?

Die Energie. Ich mag' die kleinen Dinge hier.


Jasna, 60. Künstlerin


Ich arbeite in meinem Bereich jetzt seit 40 Jahren, habe an der Kunstschule in Ljubljana studiert, bin dann nach Indien und schließlich nach Maribor. Ich war immer selbständig, habe nie einen Job gehabt, das ist doch schon ein Erfolg an sich, oder?

Jetzt ist es wie das Ende eines Marathons. Es war nicht einfach, weil ich nicht wußte, wie man mit dieser Bürokratie umgeht. Künstler sind selten gute Bürokraten, es ist wichtiger, dass wir uns ausdrücken. Trotzdem habe ich es geschafft hier und jetzt zu landen und nun habe ich jede Menge Referenzen. Meine ganzen anderen Künstlerkollegen hat der Papierkram nur abgeschreckt.

Ich habe eine kleine Galerie in der Stadt, in der ältesten Straße, unten an der Drau, früher war das mal das jüdische Viertel, bevor sie vertrieben wurden.

Diese alten Mauern reden mit mir und ich höre zu. Irgendwie kommen viele Anhänger von Alistar Crowley zu mir, vielleicht weil er viel mit Kabbala gemacht hat.

Es herrscht da eine eigentümliche Energie, ich glaube wie an jedem Ort, an dem Menschen tausende von Jahren entlang gelaufen sind.

An jedem 25. habe ich ein kleines Happening. Ich sage zu den Seelen da draußen, worauf wartet ihr, das Jahr geht zu Ende, wir müssen die Energie ändern, die schlechten Sachen müssen raus.


Alenka, 26. Politik-Dozentin 


Wer ist Dein Lieblingsautor?

Boris Pahor

Welches Ereignis in Deinem Leben würdest Du als wegweisend bezeichnen?

Der Moment als ich zum ersten Mal in die USA geflogen bin, ganz alleine. Ich wußte nicht, was ich erwarten sollte, ich hatte noch nicht mal eine Telefonnummer, die ich anrufen konnte. Ich wußte, dass es mein Leben verändern würde - ich hatte davor ein schlimmes Jahr - weil ich zum ersten Mal richtig alleine war. Ich fühlte mich sehr klein, auf der anderen Seite aber sehr stark. Es gab nur mich, keiner kannte mich und so konnte ich mich selbst entdecken. Also habe ich nur das gemacht, worauf ich Lust hatte. Wollte ich alleine ins Kino oder in den Park ein Buch lesen, dann habe ich es halt gemacht. In Maribor ist mir das nie so gelungen; immer will jemand was von dir, erwartet etwas von dir. Ich habe so viel alleine gemacht; ich würde sagen, es hat mich geprägt, weil ich zum ersten mal mutig genug war, mich mit mir selbst auseinanderzusetzen und auch Nein zu anderen Leuten zu sagen. Ich fühlte mich wirklich frei. Danach wurde alles einfacher.

Was ist Dein Traum vom Glück?

Am wichtigsten ist es, zufrieden mit sich zu sein, 100 Prozent. Die Momente des Glücks sind immer kleine Momente, finde ich. Wie beim Wandern oder mit der Familie. Hättest Du vor drei Jahren gefragt, hätte ich gesagt: Der perfekte Partner, guter Job, genug Geld und zwei Urlaube pro Jahr.

Hast Du ein Lebensmotto?

Du musst im Moment leben, auch wenn das sehr viel Übung erfordert.

Was gefällt Dir an Maribor?

Der Komfort einer kleinen Stadt. Du weißt immer wohin. Es ist ruhig, die Natur ist nah, perfekt um Kinder groß zu ziehen. Ich liebe den Piramidenberg, vor allem wenn ich alleine dort oben bin.


Igor, 35. Dichter 


Vor ein paar Jahren war ich mit ein paar Freunden abends in Maribor aus. Wir sind in die Poststraße und haben uns erst beim Bosnier und dann im Tildos fürchterlich betrunken. Dann sind wir durch die Stadt gezogen, schon ziemlich am Torkeln. Irgendwann sind wir vor einem Schaufenster gelandet und haben uns die Jacken für den Winter angeschaut. Ich brauchte unbedingt eine, aber hatte kein Geld. Also dachten wir uns, es ist drei Uhr morgens, keine Polizei weit und breit, schmeißen wir die Scheibe ein.

Wir besorgten und Pflastersteine und haben genau das gemacht. Als die Alarmanlage los ist, sind meine Freunde abgehauen, nur ich bin geblieben, weil ich unbedingt diese Jacke haben wollte. Allerdings war die Polizei doch nicht so weit weg und hat mich dabei erwischt. Das war so ziemlich der peinlichste Moment in meinem Leben.

Es hatte aber sein Gutes. Ich musste die Nacht auf der Polizeiwache verbringen und als ich langsam nüchtern wurde, schwor ich mir, nie wieder so einen Scheiß zu bauen und mich ganz auf das Schreiben zu konzentrieren. Das war vor ein paar Jahren und heute kann ich tatsächlich vom Dichten leben. Nicht ausufernd aber immerhin. Ich sage immer: Ein Künstler lebt nur ein kleines bisschen besser als ein Clochard.

Freitag, 9. November 2012

Professor Vodnik und der imperialistische (Alp)Traum*


Ein paar Kastanien die Straße runter wohnt Professor Vodnik, ein tannenschlanker Mann, der seit vielen Jahren eine historische Affäre mit den Habsburgern unterhält.

“Kommen Sie nur herein”, sagt er, “kommen Sie nur herein” und öffnet die eichenholzige Tür sperrangelweit. “Willkommen in der österreichisch-ungarischen Botschaft.”

Vodnik lächelt wie ein Kind in Disneyland. Sein Blick schweift von Wand zu Wand, vom Boden zur Decke, vermisst den Raum mit sicherem Blick; 40 Jahre lang hat er ihn ausgestattet mit den Memorabilia eines untergegangen Reiches, mit Dolchen, Messer, Gewehren, Orden, Postern, Bügelleisen (alleine davon 25) und gestickten Bildern, die den ersten Weltkrieg stofflich feiern.

Vodnik und die Brille auf seiner Nase springen von einem zum anderen Stück, er zückt den Dolch aus der Scheide, hält sich die Orden an die Brust, hebt ein Bügeleisen und packt es mit beiden Händen, um die gußeiserne Schwere zu demonstrieren. Sein Lippen glänzen und bewegen sich zitternd, wenn er erzählt, dass er manchmal den imperalistischen Traum täumt, seine Gedanken mit dem Gold der Habsburger auskleidet, mit den Bildern von Paraden, edlen Damen und Herren, dazu klingen Mahlers “Lieder eines fahrenden Gesellen” fein in seinem Ohr.

Ja, sagt Vodnik, schön wäre das, und versinkt in dem Gedanken an die ebenso versunkene Zeit. Franz-Josef, der hatte noch Statur, wenn es heute doch noch so wäre, sagt er und seufzt.

Dann zersäbelt seine Frau ihm den bunten historischen Ballon und sagt: Igor, dein Traum wurde ein Alptraum, vergiss das nicht.

Ich verlasse Vodnik’s Zeitkapsel und gehe in die Stadt. In den Gedanken spuken die Bilder von untergegangen Reichen. Unter meinen Füßen das Kopfsteinpflaster Maribors, an den Ecken manchmal kunstvoll verzierte Straßenschilder. Eigentlich alles Wegweiser durch die Geschichte dieses Ortes.

Vorbei am Maisterplatz, der Held thront vor dem Gymnasium, nur die Kastanie neben ihm thront noch größer. Auf den Platz der Freiheit, dann in die Partisanenstraße, in die Straße des 17. Juli, ich kreuze Tito, laufe über den Boris Kidrič Platz, entlang der Befreiungsfront und den proletarischen Brigaden, mache einen Bogen und kehre über den Leon-Stuckl Platz wieder zurück.

Es gibt in Maribor 699 Plätze, Straßen, Wege, Gassen, und dampft man diese Listen der Namen ein, setzt man die Jahreszahlen chronologisch, bekommt man eine kleine, grobe und sehr kurze Geschichte einer Stadt.

Die Industriestraße, die Straße des 10. Oktober, Held Jevtiča. Jeder Name eine Erinnerung an eine vergangene Zeit, an eine vergangene Idee, an ein wegweisendes Ereignis. Meistens ohne es zu merken, laufen wir ständig mitten durch die Geschichte, mitten durch ein Gedankenmuseum.

Links der Drau sammeln sich die Straßen zur Altstadt, die wirkt wie neu geschminkt. Lange Wochen laufe ich durch sie hindurch und denke: hübsch. Dann langweilen sich die Gedanken an der Schönheit und suchen die Geschichte, die nicht gerne an der Oberfläche weilt, die, wie Itzok Simoniti schreibt, nicht nur Lehrmeisterin des Lebens sondern auch des Todes ist. Unter dicken Pflastern liegen da die Wunden der Besitzerwechsel und der Kriege, da lächeln noch siegesbewusst die Habsburger, das Königreich SHS, die Nazis und Tito. Jetzt aber ist Slowenien nur Slowenien, ein Twen unter den historischen Staatsgebilden.

Vodnik hingegen kann jungen Dingern nichts abgewinnen, er mag lieber die älteren Damen, die reiferen. Deswegen fuhr er mit dem Rad durch sein kleines ganzes Land, immer auf der Suche nach einem weiteren Stück zu seinem historischen Glück. Er lernte den Franz-Josef gut kennen, ebenso die allerliebste Sisi, auch den Bruder und die ganze andere Baggage.

Wenn sie im Jetzt passiert, scheint Geschichte immer fern zu sein. Vielleicht liegt das an diesem so flüchtigen Frieden, den ich genieße schon mein Leben lang. Ich habe die Mauer fallen sehen, die Sowjetunion zerbröseln, den Balkankrieg, Krieg in Nahost, im Irak und in Afghanistan. Ich habe es alles gesehen - aber ich habe es nicht erlebt; ich musste nicht in Uniform auf ein Schlachtfeld in der Fremde oder in der Heimat. Ein Ausrutscher der Geschichte für den ich sehr dankbar bin.

Wird alles so bleiben?, frage ich mich, als ich auf dem Weg nach Hause am Gymnasium vorbeikomme. Die Schüler lungern auf den Bänken neben General Maister, lachen, rauchen, flirten, essen.

Vielleicht sitzt einer von ihnen in 50 Jahren in der Behörde für Straßennamensgebung und überlegt welche Ereignisse es verdienen, an die neuen (oder alten) Straßenecken genagelt zu werden. Vielleicht würde ihm da die Straße des 26. Februar in den Sinn kommen, die Straße des Helden Kopanicek oder die Straße der Errettung. Ereignisse, von denen wir noch nicht die geringste Vorstellung haben.

Ein paar Tage später spaziere ich im Park, versuche zu denken unter Kastanien über die Vergänglichkeit von Ideen und über unseren festen Glauben, dass alles so bleibt wie es ist.

Ich biege ab, jetzt an Eichen entlang und treffe Vodnik wie er da geht mit zwei Hunden, die kläffen und Zähne fletschen und so groß sind wie Katzen.

"Guten Tag", sagt Herr Vodnik, "wie geht es ihnen?" Hätte er einen Hut, er würde ihn ziehen.

"Ganz gut", sage ich, und streichele die Hunde, sie versuchen mich zu beißen, etwas lächerlich mit den kleinen Zähnen.

Wie heißen sie denn?, frage ich Vodnik.

A & O, sagt er und als er sieht dass ich mich frage hinsichtlich der Namenswahl, erklärt Vodnik mit einem Lächeln auf seinen glänzenden Lippen: “Das sind die slowenischen Anfangsbuchstaben für Österreich und Ungarn.”

Alles wird immer anders, aber manches bleibt gleich und wenn die Gegenwart zur Geschichte wird, bin ich vielleicht nicht mehr da.

*Text aus der Lesung in Ljubljana

Mittwoch, 8. August 2012

Professor Vodnik wünscht sich was

Vodniks Frau wartet auf eine Lungentransplantation und deswegen ist der Professor um 6:30 hier oben an der Kapelle, während unten Maribor gähnt und sich den Schlaf aus den Augen reibt.

Wenn man Begegnungen wie die mit dem Professor hat - zu einer Zeit, in der ich mich normalerweise noch mal umdrehe und weiter von Marillenknödeln träume - dann haben Schlafstörungen auch ihre guten Seiten.

Professor Vodnik lehrt Geschichte an der Handels- und Mittelschule, er freut sich mich kennenzulernen, er redet schnell, gerne und in gutem Deutsch.

Während die Sonne aufgeht und die Nebelschwaden über den Buchenwäldern vertreibt, erzählt mir Professor Vodnik von sich und seinen Tagen und warum er hier oben ist.

Jeden Morgen um 4:20 steht er auf. Waschen, Frühstück, Zeitung lesen. Dann läuft er den kiesigen Weg durch die Weinberge und Mischwälder zu dieser Kapelle. Um für sich und 111 andere Menschen zu beten, die nicht mehr so gut zu Fuß sind.

Gute Energien habe dieser Ort, sagt er. Schon die Kelten wussten das. Wünsche gehen hier in Erfüllung. Für den Sohn einer Bekannten hat Vodnik 700 Gebete gesprochen. Plötzlich war der Tumor in dessen Schädel verschwunden. Für seine Frau hat er schon über 1000 Gebete gesprochen. Sie wartet zwar immer noch auf die neue Lunge, aber es geht ihr besser als erwartet. Sie  lebt noch. Gute Dinge brauchen eben Zeit, sagt Vodnik. 

Bevor sich Vodnik dicht an das Gitter presst und seine Gebete der Marienstatue zuflüstert, sagt er noch, ich solle ihn mal besuchen kommen. Er zeigt mir sein Haus, unten in der Stadt. Er wohnt in meiner Straße. Er sei sogar in dem Haus geboren, in dem er heute wohnt, weil seine Mutter Angst vor einer Verwechslung im Krankenhaus hatte.


Vodnik umfasst die Eisenstäbe und erfüllt seine Aufgabe. 30 Minuten dauert es, die Wünsche und Hoffnungen von 111 Menschen weiterzuleiten. Danach läutet er die Glocke auf der Rückseite der Kapelle und hackt mit seinen beiden Wanderstöcken durch den Kies davon.