Mittwoch, 31. Oktober 2012

Sloweniens Goethe


Eigentlich wollte ich schon die ganze Zeit mal etwas über France Prešeren schreiben, kam aber irgendwie nicht dazu. Prešeren wird in Slowenien verehrt wie Goethe in Deutschland. Als er noch am Leben war, sah die Lage allerdings ganz anders aus. Wie so oft.

Prešeren (1800-1849) arbeitete die meiste Zeit seines Lebens als Angestellter einer Anwaltskanzlei in Ljubljana. Nebenbei widmete er sich der Lyrik, oft im Rahmen des neu entstehenden Nationalbewußstseins. In einer Zeit als Deutsch die lingua franca war, setzte Prešeren neue Maßstäbe der Dichtung in slowenischer Sprache. Doch sein Hautpwerk, die "Poesien", wurde nur 30 mal verkauft. 

Prešeren war ein Trinker und Schürzenjäger und dichtete unter anderem aufgrund einer unerwiderten Liebe. Als er einsam und verbittert an einer Leberzirrhose starb, hatte er sicherlich nicht die Hoffnung irgendwann im Kanon der slowenischen Literatur zu stehen. Aber so geschah es. Noch dazu singen die Slowenen als Nationalhymne die siebte Strophe seines Gedichts "Zdravljica": 

“Es leben alle Völker, die sehnend warten auf den Tag,
dass unter dieser Sonne die Welt dem alten Streit entsag!
Frei sei dann jedermann,
nicht Feind, nur Nachbar mehr fortan!”

Dienstag, 30. Oktober 2012

Casino bourgeois

Nette Ausstellung im ehemaligen Casino (schade, dass es keins mehr ist) über das Bürgerturm hier zwischen den Kriegen. Da sind ein paar ganz interessante Informationen, Bilder und Memorabilia dabei, wie zum Beispiel die Taschenapotheke im dritten Bild. Hab' ich auch noch nie von gehört.




Montag, 29. Oktober 2012

Bleder See

Da fährt man so durch Slowenien und fragt sich, wo die ganzen Touristen sind, da antwortet der Bleder See: hier!

Der See an sich ist wunderschön, warm noch dazu, aber fast die ganze Uferpromenade ist verbaut, der Verkehr zwängt sich durch die kleinen Straßen, nervt, und man hat das Gefühl, alle Touristen in Slowenien sind jetzt gerade hier an diesem See, der früher einmal der Sommersitz der jugoslawischen Königsfamilie war. Noch früher allerdings hatte sich jemand überlegt, den See zu leeren, um an den Ton auf dem Boden zu kommen, zwecks Backsteinherstellung.

Ganz offensichtlich wurde es nichts mit diesem Plan, stattdessen ist der See gesäumt mit Hotels, Spas und Restaurants. Das heißt, man muss die Augen und die Ohren ein bisschen zukneifen, die Touristen und den Lärm ausblenden, sich ein paar Jahrhunderte zurück versetzen, dann hat man das richtige Gefühl für diesen See.




Freitag, 26. Oktober 2012

Heimat*


Vor meinem Fenster schüttelt sich die Blautanne im Wind, krappbraune Kastanienblätter fegen durch die Luft, die Sonne verstrahlt Chromorange. Blätter sinken zu Boden und warten auf Kinder, die mit ihren tapsigen Füßen hindurchknarzen.

Aus meiner Wohnung am Stadtpark sehe ich ihn, wie er diese Stadt betritt, verneige mich und sage: Guten Tag, Herr Herbst.

Ich bin gerne in seiner Gesellschaft, schaue aus dem Fenster während die Sonne jeden Morgen den Nebel verbrennt, sitze an meinem Fenster wie damals meine Oma. Die saß dort jeden Tag in einer anderen Stadt, in einem anderen Land, in einem anderen Geist.

Sie saß dort viele Jahre, ihr Mann - mein Opa - war gestorben, sie vermisste ihn und sein Winken, wenn er von der Arbeit kam, sie vermisste sein Geschick am Bau eines Schwarzbrotes mit einer ersten großzügigen Etage aus Hüttenkäse und einem Dach aus Kirschmarmelade.

So lange hatte sie darauf gewartet, in dieses Deutschland zu kommen, in die alte Heimat, hatte im Kopf immer die Koffer gepackt, den Namen geflüstert als sie im Straflager in Sibirien im Winter nichts anderes zu essen hatte, als das Leder der Schuhe.

Irgendwann Alice, sagte der Vater zu ihr, gehen wir zurück in die Heimat. Irgendwann sind wir dort, wo wir hingehören.

Und trotz des Hungers und des Durstes, trotz der Kälte, der Läuse und den ständigen Beleidigungen, den Strafen und den sterbenden Freunden - so geschah es.

Eines Tages unterhielten wir uns bei einem Stück Napoleontorte in ihrer Küche, am Fenster, über diesen Moment des Grenzübertritts von einer Idee in eine andere. Was das Schönste sein sollte, endlich heimzukehren, platzierte sie in einen Zwischenraum, den sie nie wieder verlassen hatte. “Weißt Du”, sagte sie, “der Himmel hing in Deutschland doch nicht voller Geigen.” In Russland war sie die Fritzenbrut, eine Verräterin - in Deutschland, ihrer Heimat, nach der sie sich so viele Jahre gesehnt hatte, die sie sich in einem mentalen Bilderbuch - schön bunt - ausgemalt hatte, hier war sie die Russin.

Am Ende saß sie am Fenster und schaute die lange Straße hinab, die sie gegangen war und wünschte sich, dass um die Ecke ihr Mann Richard käme und winkte, damit sie wenigstens zu zweit in ihrer Sehnsucht nach einer Heimat wären.

Es schüttelt mich bei dem Gedanken, bei dem Gedanken an die Einsamkeit meiner Oma am Ende ihres Lebens, dort wo sie am schlimmsten schmerzt. Ich muss mir eine Jacke anziehen gegen die Kälte, denke mir, dann kann ich auch gleich vor die Tür gehen, den Herbst genießen, wenn es Oma schon nicht mehr kann. Nie wieder werden wir gemeinsam spazieren, ein Gedanke so kalt wie der nahende Winter.

Ich schließe die Wohnung ab, wie ich schon viele Räume abgeschlossen habe in meinem Leben, und gehe hinein in den Stadtpark, durch das Spalier der Kastanien, sie heben die Äste zur Krone, stelle ich mir vor.

30 Mal bin ich umgezogen, das sind 30 verschiedene Hausschlüssel für 14 Städte auf 3 Kontinenten. Manche Schlüssel habe ich noch, manche habe ich verloren, manche weggeschmissen. Alle diese Räume, alle waren sie einmal neu, bis ich mich dort eingerichtet habe oder überstürzt abgereist bin.

Für jemanden mit so vielen Schlüsseln ist Heimat ein merkwürdiges Konzept. Es soll eine Raumorientierung sein, ein Bunker vor der Fremde.

Doch lässt sich nicht in der Fremde am besten die Heimat erkennen? Im Vergleich fällt einem doch vieles leichter. Und wie kann ich von Heimat reden, wenn ich meinen Anker an vielen Stellen im Weltmeer hab fallen lassen? Heimat hat keinen Plural, sagt der Dudendiktator.

Vorbei am Restaurant zu den Drei Teichen. Hier standen einst die Türken vor den Toren der Stadt, fast wäre es geschehen gewesen um die Heimat der Slowenen.

Schnell geht es bergauf, hinein in die Weinberge. Unten meinen Füßen knistern die Kiesel, ich senke meinen Kopf und denke an die Menschen, die auf den Treks während des zweiten Weltkriegs nach Heimat lüsteten, Menschen, die sich nicht fragen mussten, was das wohl sein, Heimat. Die hatten ganz andere Probleme.

Denke ich an Herder, dann ist Heimat ein Ort an dem ich mich nicht erklären muss. Halte ich es aber mit dem Russen Sinawski, dann ist Heimat kein geographischer Begriff. Man trägt sie in sich, schreibt er.

Oben an der Kapelle nehme ich Platz auf den Steinstufen und schaue auf die Stadt, die mir gerade Asyl bietet. Kann man eine Heimat neu gewinnen, so dass ihre Bilder später am Ende des Lebens zuerst auf dem See der Erinnerung schwimmt?

In Maribor bin ich zu kurz dafür, sagt mir meine Erfahrung als Flüchtling, und doch sind fünf Monate eine gute Zeit, um die Menschen lachen und weinen zu sehen, um den Regen zu verfluchen und die Sonne zu lieben, um Wein zu trinken und die Schatten länger werden zu sehen, um den Herbst den Sommer ablösen zu sehen. Nach einem Tag hat man vielleicht einen Geschmack von einer Stadt, aber er bleibt flach und ohne Körper. Ihr Bild entfaltet sich langsam, von Stunde zu Stunde.

Links, im Osten liegt Melje, die ehemalige Heimat von Fabriken und Arbeitern. Geradezu das jüdische Viertel, davor die Anlegestelle der Flößer, die immer nur für kurze Zeit Asyl suchten. Auf der anderen Drauseite sind Chinesen ganz weit weg von ihrer Heimat und irgendwo zwischen dem ganzen Gewühl aus rotdachigen Häusern warten Schwärme von Teenagern auf Startfreigabe, auf der Suche nach einem anderen Klima.

In anderen Zeiten war Heimat ein nüchterner Begriff. Jeder wußte, wo sie war. Dann kam die Industrialisierung, die Verstädterung und mit der Mobilität die Entwurzelung des Menschen, aufgefangen von der Romantik, die erst macht Heimat zur Sehnsucht. Es ist aber auch ein Wort, das so schön über die Zunge fließt: Heimat. Es hört sich gemütlich an, es bringt das Bild einer guten alten Zeit hervor, egal ob sie es tatsächlich war oder nicht.

Die Hügel Sloweniens erinnern mich an den Taunus, dort wo ich herkomme, eine Landschaft deren Geometrie mir immer ein Gefühl von zu Hause gibt, irgendwo tief im Innern, auch wenn der Geruch, der Stadt, der Straße und des Waldes ein anderer ist. Vielleicht fehlt nur hier und dort ein Molekül, doch es ist deutlich genug, um blind verkosten zu können.

Ich blicke nach drüben auf das Pohorje-Gebirge, denke an die Gräber in den dunklen Fichtenwäldern, denke an das Grab meiner Oma, die sich durchkämpfte und Stalin überlebte, damit ich mir hier an dieser Kapelle freie Gedanken machen kann. Was würde sie sagen zu meinen zahlreichen Asylgesuchen, zu meinen Umzügen, zu meiner Unsesshaftigkeit?

Ich weiß es nicht. Aber ich würde ihr sagen: Oma, das ist meine Versicherung gegen das Vergessen. Jeder Umzug schärft die Gedanken und die Sinne und lässt mein Leben in bessere Abschnitte teilen. Ich muss immer wieder neue Räume einrichten, damit ich nicht bequem werde.

Vielleicht würde sie dann sagen: So wirst du dich nie zu Hause fühlen.
Könnte sein, würde ich zugeben. Vielleicht aber, vielleicht gibt es doch einen Plural.

*Text aus der Lesung in Ljubljana

Donnerstag, 25. Oktober 2012

Ein Gespenst geht um in Maribor

Eigentlich sind es sogar zwei: das eine ist der Winter (oh nein, kein Kaffee mehr, kein Wein, kein Bier in der Sonne auf dem Schloßplatz), das andere die Frage der Nachhaltigkeit eines Kulturhauptstadtjahrs.

Gestern wurde zu letzterem in Maribor diskutiert. Die Rede war von den langfristigen kulturellen, ökonomischen und sozialen Vorteilen dieses Titels, vom Prestige und dem Gewissen, dass Maribor nun europaweit ein Begriff sei.

Drago Jančar war auch auf dem Podium und bemängelte allerdings, dass keines der geplanten Infrastruktur-Projekte verwirklicht wurde. Er fand aber auch, dass die Stadt durch den Einfluss der kulturellen Veranstaltungen, durch die Künstler und die Touristen wärmer geworden sei, dynamischer.

Was davon bleibt, wird sich erst viel später zeigen, über so viel war man sich klar. Auch darüber, dass ein neues Image (von der Industrie- zur Kulturstadt) nicht in einem Jahr erreicht werden kann. Das Motto des "Turning Point" müsste eigentlich weit über den kommenden Winter hinaus beackert werden.

Ich werde mal bei Gelegenheit mal schauen, wie sich das Kulturjahr in Zahlen übersetzen lässt.

Ars Scribendi

Ich bin ja ein Fan von alten Büchern und dem Gedanken an die Zeit, die in ihnen steckt. Im Andraneum stellt die Erzdiözese gerade ein paar Schmuckstücke aus ihrem Archiv aus. Was für schöne Objekte, die meisten aus dem 14. Und 15. Jahrhundert.

Dienstag, 23. Oktober 2012

Am Ende des Tals

Kleiner Ausflug mit J. nach Logarska Dolina, ein Tal in den Saviner Alpen, etwa 120 westlich von Maribor. Wandern durch die Bergrücken mit offenen Mündern, weil das Licht sanft wie eine Feder fällt und die Herbstfarben die Augen umarmen. Wenn mehr Menschen wüßten, wie schön Slowenien ist, wäre es hier gerammelt voll.

Am Ende des Tals ein Wasserfall und die verrückte Idee, eine Bar aus Holz in die Luft zu bauen.

Ein paar Meter neben uns stürzt und rauscht das Wasser. Wir trinken Heidelbeerschnaps, reden, lachen, atmen die mineralige Luft, schmecken, wie schön das Leben sein kann. Später überfällt der Mond die einsetzende Dunkelheit und vertreibt den Sternenhimmel. Gut, man kann eben nicht alles haben.









Montag, 22. Oktober 2012

Goldener Herbst und Gewalt

Maribor leuchtet gerade in den schönsten Farben, was für ein fantastischer Herbst, ich habe diese Jahreszeit in Israel wirklich vermisst.

Am Wochenende war ein Freund aus Deutschland zu Besuch. Zur Einstimmung auf Maribor sind wir erstmal rauf an die Urbankirche, von dort hat man einen tollen Blick über die Stadt. Und wie das an solch' schönen Stellen in Slowenien nun mal ist, gibt es dort oben auch einen Buschenschank, man sitzt auf Holzbänken, trinkt Wein, ißt hausgemachte Salami und freut sich des Lebens.


Abends sind J. und ich ins Fußballstadion, Maribor spielte gegen Ljubljana. Endlich wurde mir auch klar, warum bei fast jedem Spiel in der Stadt hier ein Polizeiaufgebot wie bei einem Staatsbesuch herrscht. Nicht nur, dass die "Fans" die ganze Zeit Bengalo-Feuer zünden und Kracher aufs Feld schmeißen. Nein, da hatte sich anscheinend auch schon die Polizei dran gewöhnt. Richtig rund ging es erst, als ein Maribor-Fan aus seinem Block ausbüxte, quer über das Spielfeld lief (was keiner der anwesenden Polizisten mitschnitt) und einen Bengalo in den Block der Fans aus Ljubljana schmiß.



Tja, wie reagierten wohl die Fans aus der Hauptstadt? Sehr gesittet. Rissen die Plastiksitzschalen aus den Verankerungen und schmissen sie auf die Polizisten. Das gab dann natürlich eine Menge Ärger: Die Polizisten rückten in den Block und räumten ihn. Alles andere als friedlich war das, Fäuste flogen, Schlagstöcke und noch mehr Plastiksitze. Zu Hause werden die "Fans" wahrscheinlich als Helden gefeiert; ich frage mich immer wieder, was diese ganzen Idioten untern den Fußballfans (natürlich ist das nur eine Minderheit, aber in der Summe aller in Europa schon wieder bedenklich) eigentlich tun würden, wenn sie nicht am Samstag ins Stadion könnten.



Am Ende jedenfalls gewann Maribor nach einem Spiel auf ein Tor und mein Freund J. war überrascht ob des diversen Programms an diesem Tag. 

Zeppelin über Maribor

Der österreichische Künstler Markus Jeschaunig hat sich überlegt mal mit einem Zeppelin von Graz nach Maribor zu fliegen und dabei den Landverlauf zu filmen. Das Ergebnis hat er jetzt hier vorgestellt, ein Film aus dahinfliegenden Häusern, Ackern und Weinbergen. Ganz nette Idee, finde ich, aber teilweise so aufgeblasen in der Projektbeschreibung, dass ich verständnislos manche Sätze mehrmals lesen musste. So wie den hier: "Durch die Langsamkeit der schwebenden Bewegung entlang der Linie wird ein neues Abbild der Landschaft generiert und die Frage aufgeworfen, ob dadurch das notwendige Bewusstsein für eine kommende Energiewende geschaffen werden kann?"

Tja, keine Ahnung wie das funktionieren soll mit dem neuen Bewusstsein. 

Samstag, 20. Oktober 2012

Sprücheklopfer

Über die Box auf dem Maister-Platz hatte ich ja schon geschrieben. Die Hülle verändert sich aber ständig und seit ein paar Tagen hängen dort ein paar Poster von Loesje, einem Künstlerkollektiv (wenn ich das richtig verstanden habe). Unter den Sprüchen sind ein paar richtige Schmuckstücke.

Mein Favorit: "Schulbücher - Wo stehen denn die Fehler aus denen ich lernen soll?"



Freitag, 19. Oktober 2012

Borštnik Festival

Zur Zeit läuft hier das Borštnik-Treffen, das älteste und größte Theaterfestival Sloweniens, mit einem ziemlich ambitionierten und internationalem Programm. Ich werde mir sicherlich die eine oder andere Veranstaltung anschauen und dann hier etwas darüber schreiben. Das Ganze geht noch bis zum 26. Oktober. 

Donnerstag, 18. Oktober 2012

Feuer

Einer meiner persönlichen (historischen) Highlights in Maribor ist das ehemalige Wächterzimmer in der Kirchturmspitze der Stadtpfarrkirche.



Weil in Maribor zwischen dem 14. und 18. Jahrhundert einige verheerende Feuer wüteten, wurde dort oben ein kleines Apartment (weiß leider nicht genau wann) für einen permanenten Wächter eingerichtet. Der Ausguck alarmierte mit Hilfe von Trompeten (später per Sprechanlage/Telefon) die Feuerwehrkräfte am Boden. Alle 15 Minuten musste der Wächter einmal ums Karree und Ausschau halten.

Wenn meine Informationen korrekt sind, dann fegte elfmal ein Feuer durch die Stadt, viermal blieb fast nichts von Maribor übrig. Da die meisten Häuser aus Holz und anderen brennbaren Materialen waren, genügte schon die blöde Idee, auf einen Spatzen im Dach zu schießen (das Feuer von 1700), um einen schnell umherspringenden Brand auszulösen.



Eben jenes Appartment ist sehr sehr liebevoll hergerichtet und sieht aus, als hätte die letzte Wächterin (!) Antonia Weiss ihren Dienst nicht 1933 beendet, sondern gerade eben.

Vielleicht bekomme ich die Stadt mal dazu, micht zwei Nächte dort oben verbringen zu lassen, damit ich mir anschauen kann, wie Maribor erwacht und wie Maribor einschläft.


Dienstag, 16. Oktober 2012

Warten*

Als die Sonne noch schien, hatte ich gerade kein Geld. Ich wollte trotzdem nach Deutschland, irgendwie. Ich stellte mich in Melje an die Autobahn, es war früh morgens, doch im alten Industriegebiet wachte niemand auf, fingen die Maschinen nicht an zu gähnen, rauchten die Schlote nicht ihre ersten Zigaretten. Melje war schon lange tot, seine alten Bewohner lebten wohl noch und erzählten sich wahrscheinlich von guten alten Zeiten, als das Bier nach getaner Arbeit doppelt gut schmeckte.

Ich war lange nicht mehr per Anhalter gefahren. Schengenoptimistisch dachte ich, jemand würde mich bestimmt sofort mitnehmen. Von wegen. Ich stand eine Weile. Nach 15 Minuten dachte ich zum ersten Mal an die Autovermietung und meine Kreditkarte, die der Angestellte mit der grüne Weste in den Computer tippen könnte. Wozu gibt's schließlich Schulden? Doch genau für solche Fälle!

Schließlich überwog doch der Geiz und ich stand weiter. Nochmal 15 Minuten, und noch 15, dann hielt ein Wagen und nahm mich mit Richtung Österreich. Die Weinberge flogen dahin links und rechts und der Ingenieur erzählte mir vom dem guten Trinkwasser in Maribor, trotz der lang anhaltenden Hitze, aber die Drava, die brachte so einiges an Regen mit aus Österreich.

Er setzte mich an einer Tankstelle ab, ich sah einen Hofer, ging hin, kaufte mir ein paar Textmarker. In Neongrün schrieb ich dann, tja, was schrieb ich eigentlich? Ich glaube es war Linz, von dort wollte ich nach Passau und über die A3 nach Frankfurt. Auf der Karte ist das fast eine kerzengerade Strecke.

Fünf Minuten später war ich wieder unterwegs - es ging zackiger, als ich dachte - mit einem Mann aus Oberösterreich, der einfach nur wollte, dass ich zuhörte. Ich tat wie von mir gewünscht, lauschte dem Referat über die Beförderungsbestimmungen von Gefahrentransporten.

Und dann? Dann stand ich. Steckte fest am Voralpenkreuz, um mich herum zerstieben die Wagen in alle Richtungen, die einen fuhren nach Kroatien, die anderen in die Türkei, aber keiner wollte da lang, wo ich langwollte. Immerhin wußte ich jetzt ziemlich Bescheid über die Unterschiede von ungarischen und deutschen Feuerlöschgesetzen.

Ich richtete mich also ein, stand unter der Anzeigentafel der Tankstelle mit meinem Schild. Ich wartete. Ich wartete richtig lange. Wie oft machen wir das noch? Richtig warten. Ohne ein Buch in der Hand und vor allem ohne das obsessive Hervorzücken des Telefons, das moderne Ziehen eines Revolvers, mit dem wir uns gegen die Gefahr des Alleinseins bewaffnen. Die Welt ist voller Gesichter im flackernden Schein von Bildschirmen.

Warten ist sich in Geduld üben. Und tatsächlich, man muss es üben, es ist eine asketische Tätigkeit. Ich hatte vergessen, wie gering meine Toleranz für einfach Rumstehen ist. Sich einfach mit der Zeit, die langsam an einem vorbeifließt, auseinandersetzen.

Die Sonne brezelte mir auf den Schädel, sie stand im Scheitel und hatte den Schatten der Anzeigetafel weggebrannt. In Gedanken ging ich an der Lubljanica spazieren, der Geruch von Ćevapčići und Marijuana hing in der Luft wie ein Seemann im Adlernest. An den drei Brücken wollte ich mich in eine Bar setzen, konnte mich nicht entscheiden, schließlich warf ich eine Münze, die mir aus der Hand in den Fluß fiel, gut dachte ich, gehe ich also ins Maček trinke ein 
 Laško und schaue mir 80er Jahre Musikvideos auf dem TV in der Ecke an.

Ein Wagen hupte an der Tankstelle und riss mich aus meinen Gedanken. “Hey Du Schmarotzer”, rief der Fahrer, “Such dir doch einen Job.” Dann fuhr er mit seinem BMW davon, schade, dachte ich, damit wäre ich schnell unterwegs gewesen.

Jedoch fing es mir gerade an Spaß zu machen, einfach nur rumzustehen und in die Gegend zu glotzen, Dinge wahrzunehmen, für die ich vorher blind war, weil ich mich selten an Orten aufhalte die für die Durchreise gemacht sind. Raststätten zum Beispiel. Das Voralpenkreuz zum Beispiel. Während ich da stehe mit meinem Schild, neon-grün auf Karton - fließen die Menschen wie Fische in zwei sich kreuzenden Strömen durch diesen Ort: Kinder, Jungendliche, Erwachsene, Senioren, Gesunde, Kranke, dünne, sportliche, fette. Mit Schnauzer ohne Schnauzer. In Jogginghosen, in Anzügen. Mit Sonnenbrille und ohne. Slowenen, Deutsche, Kroaten, Türken, Albaner, Bosnier, Ungarn, Engländer, Holländer. BMWs, Audis, Volkswagen, Fiats, Hyundais. Die Menschen essen Schnitzel oder Schokoriegel. Streiten sich, lieben sich, erleichtern sich auf der Toilette, danach kommen sie immer mit einem befriedigten Ausruck aus der Tür, die Blase im Zaum gehalten auf der Autobahn solange es nur irgend ging.

Drei Stunden lang wartete ich und ging gedanklich spazieren. Besuchte die europäische Idee, diese grenzenlose Freiheit, die wir heute als so selbstverständlich hinnehmen, schaute bei Drago
Jančar vorbei und stimmte ihm zu, dass wir offen mit unseren menschlichen, linguistischen, kulturellen und kreativen Differenzen leben sollten. Später klingelte ich auch bei Samuel Beckett, um ihm meine Sicht der Dinge darzulegen, aber der war leider nicht da.

Schließlich hielt ein Auto, es fuhr nach München. Ich wollte gar nicht einsteigen, gar nicht mehr mitschwimmen in diesem Fluß, gar nicht mehr Teil sein dieses Hin und Herströmens zwischen Arbeit und Urlaub, zwischen Scheidungen und Hochzeiten, Krieg und Frieden, Geburtstagen und Beerdigungen.

Freitag, 12. Oktober 2012

Nachklapp Lesung Ljubljana

In den letzten Tagen vor der Lesung eine mönchsmäßige Existenz geführt. Mit Mütze und Schal am Küchentisch gesessen, weil es mittelalterschreibstubenkalt ist (kann jemand bitte die Zentralheizung anstellen?), geschrieben und redigiert, mit dem Publikum in Ljubljana im Hinterkopf.

Erst dachte ich: läuft doch alles. Am Abend davor bekam ich dann allerdings Panik. War jedoch unnötig. Ich wurde in Ljubljana nicht ausgebuht. Habe vor den etwa zehn Zuhörern in der Deutschen Bibliothek Texte aus dem Blog und neues Material gelesen, das ich extra für die Lesung verfasst hatte. Die Texte werde ich nach und nach hier in den Blog stellen, nachdem sie den Test gestern bestanden haben.

Vielen Dank an Brane Čop, den Leiter der Bibliothek, der sich rührend darum kümmerte, dass mir die Kehle nicht trocken wurde.

War ganz zufrieden mit meiner ersten Lesung (keine größeren Aussetzer, keine "Langweilig!"-Rufe) und dem Glas Whisky auf meinem Tisch (so habe ich mir das immer vorgestellt, ich muss es zugeben), auch wenn die ganzen Germanistikstudenten doch nicht den Weg an den Platz der Republik gefunden hatten. Immerhin: es waren mehr da als bei meiner Amtseinführung. Mir hat's Spaß gemacht. Könnte mich daran gewöhnen. 

Mittwoch, 10. Oktober 2012

Pranger mit Ausblick

Mal wieder bisschen Gebäudebingo. Das hier ist das Rathaus, erbaut im 16. Jahrhundert, dann oft modifiziert. Rechts ragt die Pestsäule in die Luft. Bevor der schwarze Tod durch die Stadt fegte, stand auf dem Platz ein Pranger, ein Käfig und ein Klotz für Verbrecher. Das waren noch Zeiten.


Fotos aus dem geteilten Europa


Tolle Ausstellung im Vetrinj Mansion in Maribor: Nachkriegsfotografien von Erich Lessing, einem Schüler von Henri Cartier-Bresson. Lessing war an den Brennpunkten der Geschichte, fing die Umwälzungen im geteilten Europa mit seiner Kamera ein, arbeitete für Life und Paris-Match. Sehr sehenswert.

Dienstag, 9. Oktober 2012

Living in a Box

Ich glaube, da wohnt jemand drin. Temporäres Kunstprojekt auf dem Maister-Platz. Allerdings schon drei Mal dran vorbei gefahren und nie jemand drin getroffen. Wird aber auch kalt gerade. Bewohner/in sitzt vielleicht im nächsten Café? Kakao mit Rum, anyone?

Im Clinton Club

Na ja, fast. Immerhin habe ich am Wochenende ein paar Schlucke vom Wein der alten Rebe trinken dürfen.

Deutsche Parlamentarier waren auf Slowenienreise, erst in Ljubljana, dann bei mir in Maribor. Also eher beim Bürgermeister und ich war mit zum Essen eingeladen. Obwohl in der Ankündigung stand: "Gespräch mit dem Stadtschreiber." Wir haben uns dann alle mit dem Bürgermeister untehalten. Klar, der hat ja auch ein bisschen mehr zu erzählen als ich. Lustigerweise redete er ein ganzes Stück lang über Korruptionsvorwürfe gegen ihn - ohne dass ihn jemand darauf angesprochen hätte.

Als ich ihn fragte, wie sich Slowenen beschreiben würden, erzählte er etwas von seinem alten Mercedes, der 30 Jahre alt sei, aber besser als jeder neue Japaner laufen würde. Habe ich so nicht ganz verstanden, war vielleicht "lost in translation", aber danach gab es dann das edle Tröpfchen aus den Phiolen. Bisschen dünn würde ich sagen. Frage mich, ob Clinton die Flasche leer gemacht hat oder steht sie immer noch in seinem Büro?

Montag, 8. Oktober 2012

Lesung in Ljubljana

So, meine erste Lesung steht an und ich krieg' langsam Bauchschmerzen. "Literarisches Gespräch mit Fredy Gareis" - diesen Titel werde ich mir schon mal auf einen Zettel schreiben, archivieren und vielleicht mal hervorholen, wenn ich irgendwann an gute alte Zeiten denken muss.

Ich werde wohl ein paar Sachen aus meinem Blog lesen, aber auch ein paar Texte, die ich extra für die Lesung geschrieben habe (bzw. gerade schreibe). Die Lesung findet statt am 11. Oktober, also am Donnerstag, um 17:30 in der Deutschen Bibliothek in Ljubljana, Trg republike 3.

Maribor-Ptuj-Maribor

Das allerbeste Herbstwetter am Wochenende. Morgens Nebel, knisternd kalt. Tagsüber sonnengold mit Balsamstrahlen.

Bin mit dem Rad von Maribor nach Ptuj. 30 Kilometer flußabwärts durch die Hügel mit ihren kleinen Kirchen und Weilern, schon nach fünf Kilometer so weit entfernt von der Stadt wie Maribor von der Küste.

In Ptuj mir den nach den Anstiegen sehr leeren Magen vollgeschlagen mit Ćevapčići und Lepinja, dann wieder zurück, in das immer schöner werdende Licht hinein.
















Donnerstag, 4. Oktober 2012

Maribor beautiful















Mittwoch, 3. Oktober 2012

Der Archivdetektiv

Wenn sich Roman Leljak um 7 Uhr morgens auf den Weg macht, liegt der Nebel noch schwer auf den Wäldern. Mit seinem Citroen (und mit mir) ist er unterwegs ins Staatsarchiv in Ljubljana, 120 Kilometer von Maribor entfernt.

Leljaks graues Haar wird von einem Mittelscheitel in zwei Teile getrennt, seine Augen sind freundlich. In seinem früheren Leben war er beim kroatischen Geheimdienst, jetzt arbeitet er als freier Autor und fahndet im Staatsarchiv nach Dokumenten aus der Zeit 1945-1955, weil er ein Gesamtverzeichnis aller vertriebenden Deutschen erstellen will.

"Offiziell heißt es 9000 seien vertrieben worden”, sagt Leljak während er den Citroen durch die bergige Landschaft steuert. “Aber meine Recherchen gehen in die Richtung von weit über 15000.”
Eine halbe Stunde später betritt Leljak das Staatsarchiv, den so genannten Gruberpalast, ein gelbes Barockgebäude aus dem 18. Jahrhundert.

Leljak setzt sich in den Lesesaal und schaltet das Canon Mikrofilmlesegerät an. Ein kleines Wunder sei es, sagt er, dass er sich hier durch diese Dokumente wühlen könne. Denn die UDBA habe eigentlich alle Dokumente aus dieser Zeit vernichtet. Allerdings nur die auf Papier. Die auf Mikrofilm haben sie wohl nicht auf dem Schirm gehabt.

Viermal in der Woche ist Leljak hier, notiert sich Namen der Vertriebenen und der Verantwortlichen und gräbt sich so durch die Protokolle der Geschichte.

“Jetzt ist eine gute Zeit für so eine Recherche”, sagt er. “Die Regierung ist mir wohlgesonnen.” Der vorherige Direktor des Archivs habe ihm noch den Zugang zu den Dokumenten verwehrt.

Am frühen Nachmittag beendet Leljak seine Arbeit: 8000 Dokumente auf zwei Mikrofilmen ist er heute durchgegangen. Am Ende schmerzt der Rücken und tränen die Augen.

Sein letztes Buch, “Die offenen Wunden der Steiermark”, hat sich 30 000 mal verkauft. Für den kleinen slowenischen Buchmarkt eine sehr beachtliche Zahl. “Das Interesse war sehr groß”, sagt Leljak. Sein neues Buch soll im nächsten Frühling erscheinen.

Montag, 1. Oktober 2012

Schnipp Schnapp

Runter sind sie, die Trauben der alten Rebe. Gestern wurde geerntet, der ganze Vorplatz am Fluß war schon morgens voll, ebenso wie die Gläser auf den Tischen (und sicherlich auch der eine oder andere Mariborer). Anschließend wurde die Weinkönigin gekrönt und während ich so da stand (nein, ich habe keinen Wein getrunken; es war tatsächlich zu früh), den Liedern zuhörte, die vom Chor zum Besten gegeben wurden, dachte ich mir, wie unglaublich ländlich das Ganze wirkt für eine Stadt von fast 120 000 Einwohnern. Das hätte auch ein Weinfest in Wicker, Flörsheim oder sonstwo in meiner alten Heimat sein können. Aber vielleicht charakterisiert das Slowenien auch ein bisschen: selbst in der größten Stadt Ljubljana ist das Land gleich um die Ecke und innerhalb von zehn Minuten fühlt man sich 100 Kilometer entfernt vom urbanen Leben und hat Ruhe. Wenn man das denn will.

Roma-Musik

Großartiges Konzert am Samstag im Narodni Dom. Die Band um den Österreicher Harri Stojka spielte Roma-Musik aus ganz Europa, von traurig schön bis rasend schnell. Absolut tanzbar. Leider war das Konzert eher auf Sitzgelegenheiten ausgerichtet. Trotzdem gut, vor allem die treibenden Lieder aus Bosnien und Ungarn.