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Freitag, 9. November 2012

Professor Vodnik und der imperialistische (Alp)Traum*


Ein paar Kastanien die Straße runter wohnt Professor Vodnik, ein tannenschlanker Mann, der seit vielen Jahren eine historische Affäre mit den Habsburgern unterhält.

“Kommen Sie nur herein”, sagt er, “kommen Sie nur herein” und öffnet die eichenholzige Tür sperrangelweit. “Willkommen in der österreichisch-ungarischen Botschaft.”

Vodnik lächelt wie ein Kind in Disneyland. Sein Blick schweift von Wand zu Wand, vom Boden zur Decke, vermisst den Raum mit sicherem Blick; 40 Jahre lang hat er ihn ausgestattet mit den Memorabilia eines untergegangen Reiches, mit Dolchen, Messer, Gewehren, Orden, Postern, Bügelleisen (alleine davon 25) und gestickten Bildern, die den ersten Weltkrieg stofflich feiern.

Vodnik und die Brille auf seiner Nase springen von einem zum anderen Stück, er zückt den Dolch aus der Scheide, hält sich die Orden an die Brust, hebt ein Bügeleisen und packt es mit beiden Händen, um die gußeiserne Schwere zu demonstrieren. Sein Lippen glänzen und bewegen sich zitternd, wenn er erzählt, dass er manchmal den imperalistischen Traum täumt, seine Gedanken mit dem Gold der Habsburger auskleidet, mit den Bildern von Paraden, edlen Damen und Herren, dazu klingen Mahlers “Lieder eines fahrenden Gesellen” fein in seinem Ohr.

Ja, sagt Vodnik, schön wäre das, und versinkt in dem Gedanken an die ebenso versunkene Zeit. Franz-Josef, der hatte noch Statur, wenn es heute doch noch so wäre, sagt er und seufzt.

Dann zersäbelt seine Frau ihm den bunten historischen Ballon und sagt: Igor, dein Traum wurde ein Alptraum, vergiss das nicht.

Ich verlasse Vodnik’s Zeitkapsel und gehe in die Stadt. In den Gedanken spuken die Bilder von untergegangen Reichen. Unter meinen Füßen das Kopfsteinpflaster Maribors, an den Ecken manchmal kunstvoll verzierte Straßenschilder. Eigentlich alles Wegweiser durch die Geschichte dieses Ortes.

Vorbei am Maisterplatz, der Held thront vor dem Gymnasium, nur die Kastanie neben ihm thront noch größer. Auf den Platz der Freiheit, dann in die Partisanenstraße, in die Straße des 17. Juli, ich kreuze Tito, laufe über den Boris Kidrič Platz, entlang der Befreiungsfront und den proletarischen Brigaden, mache einen Bogen und kehre über den Leon-Stuckl Platz wieder zurück.

Es gibt in Maribor 699 Plätze, Straßen, Wege, Gassen, und dampft man diese Listen der Namen ein, setzt man die Jahreszahlen chronologisch, bekommt man eine kleine, grobe und sehr kurze Geschichte einer Stadt.

Die Industriestraße, die Straße des 10. Oktober, Held Jevtiča. Jeder Name eine Erinnerung an eine vergangene Zeit, an eine vergangene Idee, an ein wegweisendes Ereignis. Meistens ohne es zu merken, laufen wir ständig mitten durch die Geschichte, mitten durch ein Gedankenmuseum.

Links der Drau sammeln sich die Straßen zur Altstadt, die wirkt wie neu geschminkt. Lange Wochen laufe ich durch sie hindurch und denke: hübsch. Dann langweilen sich die Gedanken an der Schönheit und suchen die Geschichte, die nicht gerne an der Oberfläche weilt, die, wie Itzok Simoniti schreibt, nicht nur Lehrmeisterin des Lebens sondern auch des Todes ist. Unter dicken Pflastern liegen da die Wunden der Besitzerwechsel und der Kriege, da lächeln noch siegesbewusst die Habsburger, das Königreich SHS, die Nazis und Tito. Jetzt aber ist Slowenien nur Slowenien, ein Twen unter den historischen Staatsgebilden.

Vodnik hingegen kann jungen Dingern nichts abgewinnen, er mag lieber die älteren Damen, die reiferen. Deswegen fuhr er mit dem Rad durch sein kleines ganzes Land, immer auf der Suche nach einem weiteren Stück zu seinem historischen Glück. Er lernte den Franz-Josef gut kennen, ebenso die allerliebste Sisi, auch den Bruder und die ganze andere Baggage.

Wenn sie im Jetzt passiert, scheint Geschichte immer fern zu sein. Vielleicht liegt das an diesem so flüchtigen Frieden, den ich genieße schon mein Leben lang. Ich habe die Mauer fallen sehen, die Sowjetunion zerbröseln, den Balkankrieg, Krieg in Nahost, im Irak und in Afghanistan. Ich habe es alles gesehen - aber ich habe es nicht erlebt; ich musste nicht in Uniform auf ein Schlachtfeld in der Fremde oder in der Heimat. Ein Ausrutscher der Geschichte für den ich sehr dankbar bin.

Wird alles so bleiben?, frage ich mich, als ich auf dem Weg nach Hause am Gymnasium vorbeikomme. Die Schüler lungern auf den Bänken neben General Maister, lachen, rauchen, flirten, essen.

Vielleicht sitzt einer von ihnen in 50 Jahren in der Behörde für Straßennamensgebung und überlegt welche Ereignisse es verdienen, an die neuen (oder alten) Straßenecken genagelt zu werden. Vielleicht würde ihm da die Straße des 26. Februar in den Sinn kommen, die Straße des Helden Kopanicek oder die Straße der Errettung. Ereignisse, von denen wir noch nicht die geringste Vorstellung haben.

Ein paar Tage später spaziere ich im Park, versuche zu denken unter Kastanien über die Vergänglichkeit von Ideen und über unseren festen Glauben, dass alles so bleibt wie es ist.

Ich biege ab, jetzt an Eichen entlang und treffe Vodnik wie er da geht mit zwei Hunden, die kläffen und Zähne fletschen und so groß sind wie Katzen.

"Guten Tag", sagt Herr Vodnik, "wie geht es ihnen?" Hätte er einen Hut, er würde ihn ziehen.

"Ganz gut", sage ich, und streichele die Hunde, sie versuchen mich zu beißen, etwas lächerlich mit den kleinen Zähnen.

Wie heißen sie denn?, frage ich Vodnik.

A & O, sagt er und als er sieht dass ich mich frage hinsichtlich der Namenswahl, erklärt Vodnik mit einem Lächeln auf seinen glänzenden Lippen: “Das sind die slowenischen Anfangsbuchstaben für Österreich und Ungarn.”

Alles wird immer anders, aber manches bleibt gleich und wenn die Gegenwart zur Geschichte wird, bin ich vielleicht nicht mehr da.

*Text aus der Lesung in Ljubljana