Donnerstag, 13. Dezember 2012

Maistrova Ulica 8a*

Zur linken befindet sich die Stadtverwaltung und das Büro des überhaupt nicht beliebten Bürgemeisters, zur Rechten der umso beliebtere Stadtpark, und das Haus selbst ist voller Nachbarn, von denen ich die meisten nie zu Gesicht bekommen habe.

Ich vermute sie sind älterer Natur und haben einen anderen Rhythmus als ich, stehen schon mit der Sonne auf auf, bleiben lange wach, weil sie nicht mehr schlafen können. Ab und zu sehe stehe selbst ich früh auf, und dann sehe ich eine alte Frau, die sich mit ihrem Einkaufswagen die Treppe hochquält. Als ich ihr beim ersten Mal Hilfe anbot, zuckte sie zusammen, als hätte ich gesagt: “Hände hoch”. Beim zweiten Mal das gleiche. Beim dritten Mal muss der Einkauf einfach zu schwer gewesen sein, sie ließ ihn mich hochtragen, warf dann aber, bevor ich mit ihr reden konnte, die Tür schnell vor meiner Nase zu. Das war Frau Mohorič.

Einen anderen Nachbarn rieche ich eher, als ich ihn sehe. Wenn er im Treppenhaus war, liegt für eine halbe Stunde der Geruch von 20 Zigaretten und einem Liter Wein pro Stunde zwischen dem Geländer und den Stufen.

Doch, ich erinnere mich: einen jungen Mann gibt es, den ich ab und zu sehe, wie er mit seinen beiden Hunden ins Treppenhaus kommt, einen davon drei Stockwerke hochträgt. Die Hunde sind ziemlich groß und riechen auch nicht gerade nach Rosen, aber der junge Mann hält den Hund immer so eng im Arm, so fest an seiner Brust, ich bin mir sicher, er hat keine Freundin.

Geruch ist aber ein gutes Stichwort. Jeden Tag riecht es bei mir im Treppenhaus anders. Aber ich rede jetzt nicht vom Tabak, vom Wein oder vom nassen Hund. Sondern von den Gerüchen, die aus brodelnden Töpfen hervorsteigen und sofort Bilder provozieren an Sonntage bei der Oma, wie sie da steht in Schürze und von einem Holzlöffel die Suppe probiert.

Aus irgendeiner der Wohnungen riecht es unheimlich verlockend und ich stelle mir das Essen deftig vor, wärmend, sättigend und immer zuviel.

Ich habe schon mehrmals versucht nasal die Quelle zu lokalisieren, aber ohne Glück. Dann dachte ich: vielleicht klopfe ich einfach an die Türen auf meinem Flur, aber was sollte ich dann fragen: Kochen Sie vielleicht gerade etwas Leckeres? Etwas Slowenisches? Nach der Türzuschlagaktion der alten Mohorič war ich mir nicht sicher, ob das eine gute Idee wäre.

Neben dem Riechen sind die Ohren mein zweiter Radar für die Vorgänge in den Nachbarwohnungen, vor allem empfangen sie die Signale der Wohnung über mir, von den Ćivčeks.

Wenn ich morgens aufstehe, erwache von Träumen an meinen eigenen Weinberg in Slowenien, höre ich bereits den Fernseher oben laufen. Er läuft den ganzen Tag über in den Abend hinein. Dazwischen lassen Füße das Parkett knarzen, ich folge dem Geräusch in die Küche, spitze meine Ohren, bilde mir ein, dass ich Geschirr aneinanderklirren höre, vielleicht kocht die alte Dame Tee für sich und ihren Mann, bereitet ein kleines Tablett mit Keksen, Brot und Butter.

Immer nur höre ich die Stimmen aus dem Fernseher, nie die Stimmen der Nachbarn: ein altes Ehepaar, stelle ich mir vor, dass auf der Couch sitzt, das Arbeitsleben schon lange hinter ihnen und nun der Fernseher die einzige Waffe gegen die Einsamkeit des Alters.

Dann stelle ich mir vor, ob sie ebenso Geräusche aus meiner Wohnung wahrnehmen, ob sie hören, wie ich die Schränke auf und zu mache, mich erkundige nach der Person, die vorher hier lebte: eine alte Dame soweit ich weiß, ihre Bücher stehen noch im Regal, darunter Werke wie Held Tito, 200 Mittagessen, Das Lexikon der Balkonpflanzen, ein Buch über Marx, die Poesien des tragischen Prešeren. Im Flur ist ordentlich das Putzzeug verräumt, in einer Box Streichhölzer mit einem Bären drauf, die so alt sind, das eines nach dem anderen bricht.

Ich frage mich ob sie hören, wie ich mit den Töpfen hantiere, ein ganzes Set mit Blümchenmuster, deren Griffe glühend heiß werden, meine Oma hatte ganz ähnliche.

Hören sie wie ich mir abends Eiswürfel in ein Glas werfe, mir Vodka, Kaffeelikör und Milch zu einem White Russian mixe? Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich wundern sie sich ab und zu über die laute Musik und darüber, dass sie sonst keine Stimmen hören.

Das konstante Tippen auf dem Computer werden sie wohl kaum hören, denke ich mir, das wäre bestimmt anders hätte ich eine Schreibmaschine, aber meine gute Olivetti befindet sich derzeit nicht in Maribor. Sie reist nicht gerne.

Eines Tages dann hatte ich gar keine Lust auf meinen üblichen White Russian, es war ohnehin zu früh, gerade mal 11 Uhr durch, vielleicht also eher ein Glas Wein - ganz slowenisch war ich schon geworden. Bei aller Ausstattung allerdings, in diesem meinen geborgten Haushalt befindet sich kein Korkenzieher. Tolle Gelegenheit die Nachbarn kennen zu lernen, dachte ich, fragte Google nach der Übersetzung und bin bewaffnet mit meinen neuen slowenischen Wörtern ein Stockwerk höher zu den Ćivčeks.

Ich klingelte und sah sogleich ein Auge das Guckloch verdunkeln. Ich versuchte mein freundlichstes Gesicht aufzusetzen, wahrscheinlich war das ein Fehler.

Die Tür ging einen spaltbreit auf, ich sah eine Dame mit grauen Haaren, und ich sagte meinen Satz auf, dazu hob ich die Flasche in die Höhe.

Frau Ćivček sah mich an, schaute auf die Flasche Wein, schüttelte mit dem Kopf und schloß die Tür.

Aha, dachte ich, das hatte ich mir anders vorgestellt. Dachte sie, ich wollte den Wein verkaufen? Kurz bevor ich gehen wollte, öffnete sich die Tür wieder. Wieder hob ich die Flasche in die Höhe, sagte meinen Satz.

Aaah, sagte sie, jaja, und bat mich plötzlich rein. Aus dem Wohnzimmer kam ihr Mann dazu, aus dem Fernseher hörte ich zwischen deutschen Stimmen immer wieder einen Hammer herunterfahren. Die beiden waren fleißige RTL-Schauer und fieberten mit den Fällen der TV-Richterin Barbara Salesch.

Eine Minute später redeten wir schon auf Deutsch, während ich noch die Flasche versuchte zu öffnen. Der Mann hörte eher zu, denn wenn er etwas sagte, kam seine Stimme wie aus einem Grab, irgendein Problem im Hals oder in der Lunge.

Ich bot den beiden ein Glas an. Frau Ćivček schaute auf die Uhr, dann zuckte sie mit den Schultern und sagte: Warum nicht, es ist ja schon 11 durch.

Wir setzten uns gemeinsam auf die Couch und schauten Fernsehen, RTL, etwas, das ich zuhause nie machen würde, der Gedanke, dass so viele Menschen ihren Kopf mit diesem Unsinn zumüllen macht mich nämlich unendlich traurig.

Aber so saßen wir und tranken ein Gläschen und dann noch eines, bis Frau Ćivček die Kiste ausmachte und wir uns endlich unterhielten und ich mir dachte, wenn ich jetzt unten wäre, in meiner Wohnung, würde ich im Apartment 5 in der Maistrova Ulica 8 a zum ersten Mal menschliche Stimmen hören.

*Text aus der Abschlusslesung in Maribor

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