Donnerstag, 18. Oktober 2012

Feuer

Einer meiner persönlichen (historischen) Highlights in Maribor ist das ehemalige Wächterzimmer in der Kirchturmspitze der Stadtpfarrkirche.



Weil in Maribor zwischen dem 14. und 18. Jahrhundert einige verheerende Feuer wüteten, wurde dort oben ein kleines Apartment (weiß leider nicht genau wann) für einen permanenten Wächter eingerichtet. Der Ausguck alarmierte mit Hilfe von Trompeten (später per Sprechanlage/Telefon) die Feuerwehrkräfte am Boden. Alle 15 Minuten musste der Wächter einmal ums Karree und Ausschau halten.

Wenn meine Informationen korrekt sind, dann fegte elfmal ein Feuer durch die Stadt, viermal blieb fast nichts von Maribor übrig. Da die meisten Häuser aus Holz und anderen brennbaren Materialen waren, genügte schon die blöde Idee, auf einen Spatzen im Dach zu schießen (das Feuer von 1700), um einen schnell umherspringenden Brand auszulösen.



Eben jenes Appartment ist sehr sehr liebevoll hergerichtet und sieht aus, als hätte die letzte Wächterin (!) Antonia Weiss ihren Dienst nicht 1933 beendet, sondern gerade eben.

Vielleicht bekomme ich die Stadt mal dazu, micht zwei Nächte dort oben verbringen zu lassen, damit ich mir anschauen kann, wie Maribor erwacht und wie Maribor einschläft.


Dienstag, 16. Oktober 2012

Warten*

Als die Sonne noch schien, hatte ich gerade kein Geld. Ich wollte trotzdem nach Deutschland, irgendwie. Ich stellte mich in Melje an die Autobahn, es war früh morgens, doch im alten Industriegebiet wachte niemand auf, fingen die Maschinen nicht an zu gähnen, rauchten die Schlote nicht ihre ersten Zigaretten. Melje war schon lange tot, seine alten Bewohner lebten wohl noch und erzählten sich wahrscheinlich von guten alten Zeiten, als das Bier nach getaner Arbeit doppelt gut schmeckte.

Ich war lange nicht mehr per Anhalter gefahren. Schengenoptimistisch dachte ich, jemand würde mich bestimmt sofort mitnehmen. Von wegen. Ich stand eine Weile. Nach 15 Minuten dachte ich zum ersten Mal an die Autovermietung und meine Kreditkarte, die der Angestellte mit der grüne Weste in den Computer tippen könnte. Wozu gibt's schließlich Schulden? Doch genau für solche Fälle!

Schließlich überwog doch der Geiz und ich stand weiter. Nochmal 15 Minuten, und noch 15, dann hielt ein Wagen und nahm mich mit Richtung Österreich. Die Weinberge flogen dahin links und rechts und der Ingenieur erzählte mir vom dem guten Trinkwasser in Maribor, trotz der lang anhaltenden Hitze, aber die Drava, die brachte so einiges an Regen mit aus Österreich.

Er setzte mich an einer Tankstelle ab, ich sah einen Hofer, ging hin, kaufte mir ein paar Textmarker. In Neongrün schrieb ich dann, tja, was schrieb ich eigentlich? Ich glaube es war Linz, von dort wollte ich nach Passau und über die A3 nach Frankfurt. Auf der Karte ist das fast eine kerzengerade Strecke.

Fünf Minuten später war ich wieder unterwegs - es ging zackiger, als ich dachte - mit einem Mann aus Oberösterreich, der einfach nur wollte, dass ich zuhörte. Ich tat wie von mir gewünscht, lauschte dem Referat über die Beförderungsbestimmungen von Gefahrentransporten.

Und dann? Dann stand ich. Steckte fest am Voralpenkreuz, um mich herum zerstieben die Wagen in alle Richtungen, die einen fuhren nach Kroatien, die anderen in die Türkei, aber keiner wollte da lang, wo ich langwollte. Immerhin wußte ich jetzt ziemlich Bescheid über die Unterschiede von ungarischen und deutschen Feuerlöschgesetzen.

Ich richtete mich also ein, stand unter der Anzeigentafel der Tankstelle mit meinem Schild. Ich wartete. Ich wartete richtig lange. Wie oft machen wir das noch? Richtig warten. Ohne ein Buch in der Hand und vor allem ohne das obsessive Hervorzücken des Telefons, das moderne Ziehen eines Revolvers, mit dem wir uns gegen die Gefahr des Alleinseins bewaffnen. Die Welt ist voller Gesichter im flackernden Schein von Bildschirmen.

Warten ist sich in Geduld üben. Und tatsächlich, man muss es üben, es ist eine asketische Tätigkeit. Ich hatte vergessen, wie gering meine Toleranz für einfach Rumstehen ist. Sich einfach mit der Zeit, die langsam an einem vorbeifließt, auseinandersetzen.

Die Sonne brezelte mir auf den Schädel, sie stand im Scheitel und hatte den Schatten der Anzeigetafel weggebrannt. In Gedanken ging ich an der Lubljanica spazieren, der Geruch von Ćevapčići und Marijuana hing in der Luft wie ein Seemann im Adlernest. An den drei Brücken wollte ich mich in eine Bar setzen, konnte mich nicht entscheiden, schließlich warf ich eine Münze, die mir aus der Hand in den Fluß fiel, gut dachte ich, gehe ich also ins Maček trinke ein 
 Laško und schaue mir 80er Jahre Musikvideos auf dem TV in der Ecke an.

Ein Wagen hupte an der Tankstelle und riss mich aus meinen Gedanken. “Hey Du Schmarotzer”, rief der Fahrer, “Such dir doch einen Job.” Dann fuhr er mit seinem BMW davon, schade, dachte ich, damit wäre ich schnell unterwegs gewesen.

Jedoch fing es mir gerade an Spaß zu machen, einfach nur rumzustehen und in die Gegend zu glotzen, Dinge wahrzunehmen, für die ich vorher blind war, weil ich mich selten an Orten aufhalte die für die Durchreise gemacht sind. Raststätten zum Beispiel. Das Voralpenkreuz zum Beispiel. Während ich da stehe mit meinem Schild, neon-grün auf Karton - fließen die Menschen wie Fische in zwei sich kreuzenden Strömen durch diesen Ort: Kinder, Jungendliche, Erwachsene, Senioren, Gesunde, Kranke, dünne, sportliche, fette. Mit Schnauzer ohne Schnauzer. In Jogginghosen, in Anzügen. Mit Sonnenbrille und ohne. Slowenen, Deutsche, Kroaten, Türken, Albaner, Bosnier, Ungarn, Engländer, Holländer. BMWs, Audis, Volkswagen, Fiats, Hyundais. Die Menschen essen Schnitzel oder Schokoriegel. Streiten sich, lieben sich, erleichtern sich auf der Toilette, danach kommen sie immer mit einem befriedigten Ausruck aus der Tür, die Blase im Zaum gehalten auf der Autobahn solange es nur irgend ging.

Drei Stunden lang wartete ich und ging gedanklich spazieren. Besuchte die europäische Idee, diese grenzenlose Freiheit, die wir heute als so selbstverständlich hinnehmen, schaute bei Drago
Jančar vorbei und stimmte ihm zu, dass wir offen mit unseren menschlichen, linguistischen, kulturellen und kreativen Differenzen leben sollten. Später klingelte ich auch bei Samuel Beckett, um ihm meine Sicht der Dinge darzulegen, aber der war leider nicht da.

Schließlich hielt ein Auto, es fuhr nach München. Ich wollte gar nicht einsteigen, gar nicht mehr mitschwimmen in diesem Fluß, gar nicht mehr Teil sein dieses Hin und Herströmens zwischen Arbeit und Urlaub, zwischen Scheidungen und Hochzeiten, Krieg und Frieden, Geburtstagen und Beerdigungen.

Freitag, 12. Oktober 2012

Nachklapp Lesung Ljubljana

In den letzten Tagen vor der Lesung eine mönchsmäßige Existenz geführt. Mit Mütze und Schal am Küchentisch gesessen, weil es mittelalterschreibstubenkalt ist (kann jemand bitte die Zentralheizung anstellen?), geschrieben und redigiert, mit dem Publikum in Ljubljana im Hinterkopf.

Erst dachte ich: läuft doch alles. Am Abend davor bekam ich dann allerdings Panik. War jedoch unnötig. Ich wurde in Ljubljana nicht ausgebuht. Habe vor den etwa zehn Zuhörern in der Deutschen Bibliothek Texte aus dem Blog und neues Material gelesen, das ich extra für die Lesung verfasst hatte. Die Texte werde ich nach und nach hier in den Blog stellen, nachdem sie den Test gestern bestanden haben.

Vielen Dank an Brane Čop, den Leiter der Bibliothek, der sich rührend darum kümmerte, dass mir die Kehle nicht trocken wurde.

War ganz zufrieden mit meiner ersten Lesung (keine größeren Aussetzer, keine "Langweilig!"-Rufe) und dem Glas Whisky auf meinem Tisch (so habe ich mir das immer vorgestellt, ich muss es zugeben), auch wenn die ganzen Germanistikstudenten doch nicht den Weg an den Platz der Republik gefunden hatten. Immerhin: es waren mehr da als bei meiner Amtseinführung. Mir hat's Spaß gemacht. Könnte mich daran gewöhnen. 

Mittwoch, 10. Oktober 2012

Pranger mit Ausblick

Mal wieder bisschen Gebäudebingo. Das hier ist das Rathaus, erbaut im 16. Jahrhundert, dann oft modifiziert. Rechts ragt die Pestsäule in die Luft. Bevor der schwarze Tod durch die Stadt fegte, stand auf dem Platz ein Pranger, ein Käfig und ein Klotz für Verbrecher. Das waren noch Zeiten.


Fotos aus dem geteilten Europa


Tolle Ausstellung im Vetrinj Mansion in Maribor: Nachkriegsfotografien von Erich Lessing, einem Schüler von Henri Cartier-Bresson. Lessing war an den Brennpunkten der Geschichte, fing die Umwälzungen im geteilten Europa mit seiner Kamera ein, arbeitete für Life und Paris-Match. Sehr sehenswert.

Dienstag, 9. Oktober 2012

Living in a Box

Ich glaube, da wohnt jemand drin. Temporäres Kunstprojekt auf dem Maister-Platz. Allerdings schon drei Mal dran vorbei gefahren und nie jemand drin getroffen. Wird aber auch kalt gerade. Bewohner/in sitzt vielleicht im nächsten Café? Kakao mit Rum, anyone?

Im Clinton Club

Na ja, fast. Immerhin habe ich am Wochenende ein paar Schlucke vom Wein der alten Rebe trinken dürfen.

Deutsche Parlamentarier waren auf Slowenienreise, erst in Ljubljana, dann bei mir in Maribor. Also eher beim Bürgermeister und ich war mit zum Essen eingeladen. Obwohl in der Ankündigung stand: "Gespräch mit dem Stadtschreiber." Wir haben uns dann alle mit dem Bürgermeister untehalten. Klar, der hat ja auch ein bisschen mehr zu erzählen als ich. Lustigerweise redete er ein ganzes Stück lang über Korruptionsvorwürfe gegen ihn - ohne dass ihn jemand darauf angesprochen hätte.

Als ich ihn fragte, wie sich Slowenen beschreiben würden, erzählte er etwas von seinem alten Mercedes, der 30 Jahre alt sei, aber besser als jeder neue Japaner laufen würde. Habe ich so nicht ganz verstanden, war vielleicht "lost in translation", aber danach gab es dann das edle Tröpfchen aus den Phiolen. Bisschen dünn würde ich sagen. Frage mich, ob Clinton die Flasche leer gemacht hat oder steht sie immer noch in seinem Büro?