Freitag, 23. November 2012

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit*

Unterwegs in Maribors Wäldern, langsames Gehen zwischen Platanen, Sommerlinden und Rotbuchen. Wenn man mal darüber nachdenkt, gibt es unheimlich viele schöne Baumnamen, ein ganzes Kompendium, das den meisten vielleicht fremd ist. Das gilt auch für die Pilze, die gerade Saison haben, die in den Wäldern gepflückt werden von Männern mit Mützen und Zigaretten im Mundwinkel: Scheibenstreiflinge, Stockschwämmchen, flockenstielige Hexenröhrlinge.

Die Schritte durch das Laub setze ich in einer Geschwindigkeit, in der es sich behende denken lässt. Irgendwas an dieser Tempo-Gedanken-Kombination fühlt sich natürlich an, ursprünglich. Bruce Chatwin, der britische Reiseschriftsteller sagte einmal, “Das Leben ist eine Reise, die am besten zu Fuß bewältigt wird.” Ich bin geneigt, ihm Recht zu geben.

Nur, diese Art des Gehens, das auf das Diktum “je länger desto besser” angewiesen ist, sie kostet Zeit.

Genau die Art Zeit, die viele nicht mehr haben. Früher habe ich von meinen Freunden immer gehört “nee, können wir nicht machen. Kein Geld.” Heute heißt es hingegen immer “nee, geht nicht. Keine Zeit.”

Durch einen Wald von Stieleichen komme ich zu einer Kapelle und lese die Inschrift. Sie ist Station eines Kreuzwegs, den die Überlebenden der Pest in Maribor im Jahre 1683 gebaut haben. Ich folge dem Weg, denke an diese gläubigen Menschen, für die der Aufenthalt im Diesseits noch nichts weiter als eine Durchgangsstation war. Das wahre Leben, das war hinter den Toren aus Perlmutt.
Heute sehen das die meisten anders. Und doch verschwenden wir unsere Zeit. Indem wir sie nicht ausnutzen.

Jeder Europäer schaut im Durchschnitt 232 Minuten Fernsehen pro Tag. Umgerechnet auf ein ganzes Jahr sind das etwa 45 Tage vor dem Bildschirm, Tag und Nacht. Ist das nicht traurig? Und trotzdem hat keiner Zeit?

Das schlimme am Älterwerden ist, dass sich das Empfinden für Zeit ändert. Sie vergeht schneller. Manchmal höre ich mich schon an wie meine Mutter, wenn ich sage: Wahnsinn wie schnell die Zeit vergeht. Meine Mutter freut sich natürlich über meine neu gewonnen Einstellung und nickt.

Plötzlich stoßen Begriffe wie “früher” und “damals” an die Oberfläche. Begriffe, die es im Vokabular eines Teenagers genauso wenig gibt, wie eine Antwort auf die Frage nach dem Ende des Universums.

Der Weg führt einen Berg hinauf, ein schmaler Streifen von festgetretener Erde, an manchen Stellen die quetschenden Hufspuren von Pferden. Kavalirje nennt sich dieser Hügel und auf der Spitze haben die Überlebenden eine Kirche gebaut. Die ganzen Steine hier hoch geschleppt, an der Außenwand der Kirche der heiligen Barbara und Rosalia Statuen von Jesus und Maria angebracht. Ein Ort, der grimm-märchenhaft im Wald lauert, überwachsen von den Kronen der Linden. Zeitlos setze ich mich auf eine Bank davor.

Was könnten wir erreichen, wenn wir unsere Zeit nicht so verschwenden würden? So vieles verschieben wir auf morgen, planen es in fünf, in zehn Jahren, wenn mal Ruhe dazu ist, wenn mal Zeit dafür da ist; vielleicht sind wir aber dann schon längst andere Menschen geworden.

Die Revolutionen und die Kriege der Vergangenheit haben uns in die freiste Gesellschaft aller Zeiten gebracht. Frei im Handeln, frei in Gedanken, gelenkt von Kant und Kyrene. Sicher verankert in einem Sozialsystem, nach dem sich Bewohner von vergangenen Jahrhunderten die Finger lecken würden. Irgendwann werden wir zurück schauen und uns fragen, wo die Zeit geblieben ist. Vielleicht werden dann schon die schlechten Zeiten angebrochen sein.

Wenn nur jeder Zweite so eine (metaphorische) Kirche bauen würde, wenn wir uns wieder konzentrieren würden auf die wirklich wichtigen Dinge, wir uns wieder Ziele stecken würden, wenn wir Abenteuer planen und sie ausführen würden, wenn wir mehr Energie und Zeit investieren würden, um diese Welt zu verbessern - wir wären sicherlich zufriedener. Vielleicht sogar glücklich.

Aber das alles braucht Zeit, wie guter Wein. Und wenn ich mir anschaue, wie ich selbst oft mit meiner Zeit umgehe, wie Freunde von mir sie nicht schätzen, wie Bekannte und andere Menschen der Zeit nicht befehlen, ihnen Untertan zu sein, muss ich an einen Spruch denken, den ich vor vielen Jahren von einem Soldaten gehört habe, der mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf geht. In Afghanistan sagt man: Die im Westen haben die Uhr, aber wir haben die Zeit.

*Text aus der Lesung in Ljubljana

Donnerstag, 22. November 2012

Der Stadtschreiber in der Zeitung

Der Večer hat sich der Lesung in der vergangenen Woche angenommen und einen Artikel darüber veröffentlicht. Ist zwar auf slowenisch (klar), aber das sollen ja einige hier beherrschen. Ich habe mir den Text selbst durch den Übersetzer von Google gejagt, und soweit ich das beurteilen kann wurde ich nicht beschimpft. Ni slabo.

Hier gibt es auch eine Online-Version, die ist aber anscheinend nicht ganz vollständig.

Dienstag, 20. November 2012

Lesung Nr. 2

Das war eine ganz andere Nummer als die erste, damals in Ljubljana. Diesmal war die Lesung gleich Teil eines Seminars am Germanistik-Institut der Universität in Maribor und lief unter dem Titel "Archäologie der Fremde".

Ich wußte vorher nicht so genau, was mich erwarten würde. Der Prof. Dejan Kos hatte mir zwar gesagt, dass die Studenten etwas in der Richtung von Essays vorbereiten würden, aber ich war dann doch überrascht, als mir klar wurde, dass sich da Referatsgruppen gebildet hatten, die sich einzig und allein mit mir und dem Blog des Stadtschreibers beschäftigen mussten.

Also: ich fühlte mich wirklich sehr geehrt, auch wenn ich natürlich weiß, dass diese Entscheidung von den Studenten nicht freiwillig getroffen wurde. Aber die meisten haben sich wirklich Mühe gegeben: sezierten meinen Blog nach den Gesichtspunkten "Geschichte, Kulinarik, Sport, Bildung und Kultur", zitierten aus meinen Texten (Wahnsinn!) und stellten mir eine Menge kluge Fragen.

Nach dieser sehr interaktiven Phase, für die ich mich hier nochmal bei den Studenten bedanken möchte, habe ich ein paar neue Texte gelesen. Vor allem eine Geschichte über den Martinstag, den unbeliebten Bürgermeister (hätte nicht gedacht, dass allein sein Name solch' eine Reaktion auslösen kann) und Stereotype über Slowenen schien ziemlich gut angekommen zu sein, mal nach dem Gelächter beurteilt und wenn Studenten lachen ist ja schon was gewonnen - außer sie haben über mich gelacht.

Mein Dank gebührt auch Dejan Kos für die Idee und das inspirierende Eingangsreferat, sowie Veronika Haring für die Organisation. Hvala lepa.

Allerdings, bei aller Freude, eines ist mir dann doch negativ aufgefallen: im Gegensatz zu meiner ersten Lesung gab es für den Stadtschreiber keinen Whisky. Gut, vielleicht ist um die Mittagszeit auch einfach zu früh dafür.

Montag, 19. November 2012

Aufstand in Maribor

Es gibt ja hier so ein paar Themen (wie überall wohl) über die es sich mit jedermann hervorragend lästern lässt: zum Beispiel der Zustand der Eisenbahn (traurig, schlimm, unhaltbar, rückständig, absurd). Was allerdings die Mariborer regelmäßig auf die Palme treibt, ist vor allem ein Name: France Kangler, der Bürgermeister. Über mein Erlebnis mit ihm hatte ich ja hier schon berichtet.

Jetzt hat es der Bürgermeister allerdings wohl auf die Spitze getrieben, indem er überall mobile Blitzer hat aufstellen lassen. Da ist dann das Fass übergelaufen und die Einwohner haben sich zu einer Demo vor der Verwaltung (direkt bei mir um die Ecke) versammelt (nebenbei sollen sich einige die Nummernschilder überklebt haben), Bengalos angezündet und Kangler aufgefordert, rauszukommen. Hat er natürlich nicht gemacht, wäre er ja auch schön blöd.



Schattenspiel





Florianssäule in der Altstadt.

Montag, 12. November 2012

Fahrraddiebe

Oh Mann, wie peinlich mir das ist. Der außerordentlich nette, hiesige Germanistikdozent hat mir sein Fahrrad geliehen, damit ich mir nicht immer die Füße wundlaufen muss. Ein richtig gutes Mountainbike war das. Hatte extra noch mein Schloss aus Berlin mitgebracht, weil mir die örtlichen bisschen zu dünn vorkamen (und ich deswegen dachte, na, Diebstahl scheint hier nicht das Problem zu sein). Falsch gedacht. Seit Samstag ist es weg. Schön vorm Fitness-Studio die Schlösser mit dem Bolzenschneider durchgeschnitten.

Das ganze Desaster hat mich dann immerhin zu meiner ersten Erfahrung mit der slowenischen Polizei geführt. Direkt angerufen (vielleicht erwischen sie den Dieb ja noch), die Polizei sagt, ja, wir kommen vorbei. Allerdings sagen sie nicht wann. Nach 45 Minuten erfolglosem Warten bin ich dann selbst auf die Wache gegangen.

Dort durfte ich schon wieder warten. Schließlich kamen zwei Streifenpolizisten und nahmen den Fall auf. Aber nicht ohne mir das Gefühl zu geben, dass ich der Verbrecher sei. War irgendwie eine ostige Erfahrung. Haben nämlich auch schnell nachprüfen wollen, wo ich vorher war, und ein Anruf genügte um rauszufinden, dass ich vor zwei Monaten in einem Hotel in Jeruzalem, einem kleinen Weinort hier im Osten, übernachtet habe. Das fand ich doch bisschen gruselig.

Na ja, so ist das gerade. Ätzend. Wer also ein rot-weißes Mountainbike der Marke Vertiec durch die Gegend fahren sieht....

Drei Farben Gelb

Während sich in Deutschland das Laub ja schon verabschiedet hat (wie mir zu Ohren gekommen ist), klammert es sich hier immer noch an die Äste. Traumhaft.