Montag, 22. Oktober 2012

Goldener Herbst und Gewalt

Maribor leuchtet gerade in den schönsten Farben, was für ein fantastischer Herbst, ich habe diese Jahreszeit in Israel wirklich vermisst.

Am Wochenende war ein Freund aus Deutschland zu Besuch. Zur Einstimmung auf Maribor sind wir erstmal rauf an die Urbankirche, von dort hat man einen tollen Blick über die Stadt. Und wie das an solch' schönen Stellen in Slowenien nun mal ist, gibt es dort oben auch einen Buschenschank, man sitzt auf Holzbänken, trinkt Wein, ißt hausgemachte Salami und freut sich des Lebens.


Abends sind J. und ich ins Fußballstadion, Maribor spielte gegen Ljubljana. Endlich wurde mir auch klar, warum bei fast jedem Spiel in der Stadt hier ein Polizeiaufgebot wie bei einem Staatsbesuch herrscht. Nicht nur, dass die "Fans" die ganze Zeit Bengalo-Feuer zünden und Kracher aufs Feld schmeißen. Nein, da hatte sich anscheinend auch schon die Polizei dran gewöhnt. Richtig rund ging es erst, als ein Maribor-Fan aus seinem Block ausbüxte, quer über das Spielfeld lief (was keiner der anwesenden Polizisten mitschnitt) und einen Bengalo in den Block der Fans aus Ljubljana schmiß.



Tja, wie reagierten wohl die Fans aus der Hauptstadt? Sehr gesittet. Rissen die Plastiksitzschalen aus den Verankerungen und schmissen sie auf die Polizisten. Das gab dann natürlich eine Menge Ärger: Die Polizisten rückten in den Block und räumten ihn. Alles andere als friedlich war das, Fäuste flogen, Schlagstöcke und noch mehr Plastiksitze. Zu Hause werden die "Fans" wahrscheinlich als Helden gefeiert; ich frage mich immer wieder, was diese ganzen Idioten untern den Fußballfans (natürlich ist das nur eine Minderheit, aber in der Summe aller in Europa schon wieder bedenklich) eigentlich tun würden, wenn sie nicht am Samstag ins Stadion könnten.



Am Ende jedenfalls gewann Maribor nach einem Spiel auf ein Tor und mein Freund J. war überrascht ob des diversen Programms an diesem Tag. 

Zeppelin über Maribor

Der österreichische Künstler Markus Jeschaunig hat sich überlegt mal mit einem Zeppelin von Graz nach Maribor zu fliegen und dabei den Landverlauf zu filmen. Das Ergebnis hat er jetzt hier vorgestellt, ein Film aus dahinfliegenden Häusern, Ackern und Weinbergen. Ganz nette Idee, finde ich, aber teilweise so aufgeblasen in der Projektbeschreibung, dass ich verständnislos manche Sätze mehrmals lesen musste. So wie den hier: "Durch die Langsamkeit der schwebenden Bewegung entlang der Linie wird ein neues Abbild der Landschaft generiert und die Frage aufgeworfen, ob dadurch das notwendige Bewusstsein für eine kommende Energiewende geschaffen werden kann?"

Tja, keine Ahnung wie das funktionieren soll mit dem neuen Bewusstsein. 

Samstag, 20. Oktober 2012

Sprücheklopfer

Über die Box auf dem Maister-Platz hatte ich ja schon geschrieben. Die Hülle verändert sich aber ständig und seit ein paar Tagen hängen dort ein paar Poster von Loesje, einem Künstlerkollektiv (wenn ich das richtig verstanden habe). Unter den Sprüchen sind ein paar richtige Schmuckstücke.

Mein Favorit: "Schulbücher - Wo stehen denn die Fehler aus denen ich lernen soll?"



Freitag, 19. Oktober 2012

Borštnik Festival

Zur Zeit läuft hier das Borštnik-Treffen, das älteste und größte Theaterfestival Sloweniens, mit einem ziemlich ambitionierten und internationalem Programm. Ich werde mir sicherlich die eine oder andere Veranstaltung anschauen und dann hier etwas darüber schreiben. Das Ganze geht noch bis zum 26. Oktober. 

Donnerstag, 18. Oktober 2012

Feuer

Einer meiner persönlichen (historischen) Highlights in Maribor ist das ehemalige Wächterzimmer in der Kirchturmspitze der Stadtpfarrkirche.



Weil in Maribor zwischen dem 14. und 18. Jahrhundert einige verheerende Feuer wüteten, wurde dort oben ein kleines Apartment (weiß leider nicht genau wann) für einen permanenten Wächter eingerichtet. Der Ausguck alarmierte mit Hilfe von Trompeten (später per Sprechanlage/Telefon) die Feuerwehrkräfte am Boden. Alle 15 Minuten musste der Wächter einmal ums Karree und Ausschau halten.

Wenn meine Informationen korrekt sind, dann fegte elfmal ein Feuer durch die Stadt, viermal blieb fast nichts von Maribor übrig. Da die meisten Häuser aus Holz und anderen brennbaren Materialen waren, genügte schon die blöde Idee, auf einen Spatzen im Dach zu schießen (das Feuer von 1700), um einen schnell umherspringenden Brand auszulösen.



Eben jenes Appartment ist sehr sehr liebevoll hergerichtet und sieht aus, als hätte die letzte Wächterin (!) Antonia Weiss ihren Dienst nicht 1933 beendet, sondern gerade eben.

Vielleicht bekomme ich die Stadt mal dazu, micht zwei Nächte dort oben verbringen zu lassen, damit ich mir anschauen kann, wie Maribor erwacht und wie Maribor einschläft.


Dienstag, 16. Oktober 2012

Warten*

Als die Sonne noch schien, hatte ich gerade kein Geld. Ich wollte trotzdem nach Deutschland, irgendwie. Ich stellte mich in Melje an die Autobahn, es war früh morgens, doch im alten Industriegebiet wachte niemand auf, fingen die Maschinen nicht an zu gähnen, rauchten die Schlote nicht ihre ersten Zigaretten. Melje war schon lange tot, seine alten Bewohner lebten wohl noch und erzählten sich wahrscheinlich von guten alten Zeiten, als das Bier nach getaner Arbeit doppelt gut schmeckte.

Ich war lange nicht mehr per Anhalter gefahren. Schengenoptimistisch dachte ich, jemand würde mich bestimmt sofort mitnehmen. Von wegen. Ich stand eine Weile. Nach 15 Minuten dachte ich zum ersten Mal an die Autovermietung und meine Kreditkarte, die der Angestellte mit der grüne Weste in den Computer tippen könnte. Wozu gibt's schließlich Schulden? Doch genau für solche Fälle!

Schließlich überwog doch der Geiz und ich stand weiter. Nochmal 15 Minuten, und noch 15, dann hielt ein Wagen und nahm mich mit Richtung Österreich. Die Weinberge flogen dahin links und rechts und der Ingenieur erzählte mir vom dem guten Trinkwasser in Maribor, trotz der lang anhaltenden Hitze, aber die Drava, die brachte so einiges an Regen mit aus Österreich.

Er setzte mich an einer Tankstelle ab, ich sah einen Hofer, ging hin, kaufte mir ein paar Textmarker. In Neongrün schrieb ich dann, tja, was schrieb ich eigentlich? Ich glaube es war Linz, von dort wollte ich nach Passau und über die A3 nach Frankfurt. Auf der Karte ist das fast eine kerzengerade Strecke.

Fünf Minuten später war ich wieder unterwegs - es ging zackiger, als ich dachte - mit einem Mann aus Oberösterreich, der einfach nur wollte, dass ich zuhörte. Ich tat wie von mir gewünscht, lauschte dem Referat über die Beförderungsbestimmungen von Gefahrentransporten.

Und dann? Dann stand ich. Steckte fest am Voralpenkreuz, um mich herum zerstieben die Wagen in alle Richtungen, die einen fuhren nach Kroatien, die anderen in die Türkei, aber keiner wollte da lang, wo ich langwollte. Immerhin wußte ich jetzt ziemlich Bescheid über die Unterschiede von ungarischen und deutschen Feuerlöschgesetzen.

Ich richtete mich also ein, stand unter der Anzeigentafel der Tankstelle mit meinem Schild. Ich wartete. Ich wartete richtig lange. Wie oft machen wir das noch? Richtig warten. Ohne ein Buch in der Hand und vor allem ohne das obsessive Hervorzücken des Telefons, das moderne Ziehen eines Revolvers, mit dem wir uns gegen die Gefahr des Alleinseins bewaffnen. Die Welt ist voller Gesichter im flackernden Schein von Bildschirmen.

Warten ist sich in Geduld üben. Und tatsächlich, man muss es üben, es ist eine asketische Tätigkeit. Ich hatte vergessen, wie gering meine Toleranz für einfach Rumstehen ist. Sich einfach mit der Zeit, die langsam an einem vorbeifließt, auseinandersetzen.

Die Sonne brezelte mir auf den Schädel, sie stand im Scheitel und hatte den Schatten der Anzeigetafel weggebrannt. In Gedanken ging ich an der Lubljanica spazieren, der Geruch von Ćevapčići und Marijuana hing in der Luft wie ein Seemann im Adlernest. An den drei Brücken wollte ich mich in eine Bar setzen, konnte mich nicht entscheiden, schließlich warf ich eine Münze, die mir aus der Hand in den Fluß fiel, gut dachte ich, gehe ich also ins Maček trinke ein 
 Laško und schaue mir 80er Jahre Musikvideos auf dem TV in der Ecke an.

Ein Wagen hupte an der Tankstelle und riss mich aus meinen Gedanken. “Hey Du Schmarotzer”, rief der Fahrer, “Such dir doch einen Job.” Dann fuhr er mit seinem BMW davon, schade, dachte ich, damit wäre ich schnell unterwegs gewesen.

Jedoch fing es mir gerade an Spaß zu machen, einfach nur rumzustehen und in die Gegend zu glotzen, Dinge wahrzunehmen, für die ich vorher blind war, weil ich mich selten an Orten aufhalte die für die Durchreise gemacht sind. Raststätten zum Beispiel. Das Voralpenkreuz zum Beispiel. Während ich da stehe mit meinem Schild, neon-grün auf Karton - fließen die Menschen wie Fische in zwei sich kreuzenden Strömen durch diesen Ort: Kinder, Jungendliche, Erwachsene, Senioren, Gesunde, Kranke, dünne, sportliche, fette. Mit Schnauzer ohne Schnauzer. In Jogginghosen, in Anzügen. Mit Sonnenbrille und ohne. Slowenen, Deutsche, Kroaten, Türken, Albaner, Bosnier, Ungarn, Engländer, Holländer. BMWs, Audis, Volkswagen, Fiats, Hyundais. Die Menschen essen Schnitzel oder Schokoriegel. Streiten sich, lieben sich, erleichtern sich auf der Toilette, danach kommen sie immer mit einem befriedigten Ausruck aus der Tür, die Blase im Zaum gehalten auf der Autobahn solange es nur irgend ging.

Drei Stunden lang wartete ich und ging gedanklich spazieren. Besuchte die europäische Idee, diese grenzenlose Freiheit, die wir heute als so selbstverständlich hinnehmen, schaute bei Drago
Jančar vorbei und stimmte ihm zu, dass wir offen mit unseren menschlichen, linguistischen, kulturellen und kreativen Differenzen leben sollten. Später klingelte ich auch bei Samuel Beckett, um ihm meine Sicht der Dinge darzulegen, aber der war leider nicht da.

Schließlich hielt ein Auto, es fuhr nach München. Ich wollte gar nicht einsteigen, gar nicht mehr mitschwimmen in diesem Fluß, gar nicht mehr Teil sein dieses Hin und Herströmens zwischen Arbeit und Urlaub, zwischen Scheidungen und Hochzeiten, Krieg und Frieden, Geburtstagen und Beerdigungen.

Freitag, 12. Oktober 2012

Nachklapp Lesung Ljubljana

In den letzten Tagen vor der Lesung eine mönchsmäßige Existenz geführt. Mit Mütze und Schal am Küchentisch gesessen, weil es mittelalterschreibstubenkalt ist (kann jemand bitte die Zentralheizung anstellen?), geschrieben und redigiert, mit dem Publikum in Ljubljana im Hinterkopf.

Erst dachte ich: läuft doch alles. Am Abend davor bekam ich dann allerdings Panik. War jedoch unnötig. Ich wurde in Ljubljana nicht ausgebuht. Habe vor den etwa zehn Zuhörern in der Deutschen Bibliothek Texte aus dem Blog und neues Material gelesen, das ich extra für die Lesung verfasst hatte. Die Texte werde ich nach und nach hier in den Blog stellen, nachdem sie den Test gestern bestanden haben.

Vielen Dank an Brane Čop, den Leiter der Bibliothek, der sich rührend darum kümmerte, dass mir die Kehle nicht trocken wurde.

War ganz zufrieden mit meiner ersten Lesung (keine größeren Aussetzer, keine "Langweilig!"-Rufe) und dem Glas Whisky auf meinem Tisch (so habe ich mir das immer vorgestellt, ich muss es zugeben), auch wenn die ganzen Germanistikstudenten doch nicht den Weg an den Platz der Republik gefunden hatten. Immerhin: es waren mehr da als bei meiner Amtseinführung. Mir hat's Spaß gemacht. Könnte mich daran gewöhnen.