Montag, 12. November 2012

Blaues Maribor

Traditionell auch Martinstag genannt. Findet eigentlich am 11. November statt, aber weil der Tag auf einen Sonntag fiel, die Leute am Montag ja arbeiten müssen, wurde kurzerhand am Freitag gefeiert: ab 10 Uhr morgens tönte Umpah-Musik durch die Stadt und die Leute scharrten sich um die Wein- und Essens-Stände.

Die Mariborer selbst sagen: "Du kannst jemand das ganze Jahr nicht sehen; hier triffst du ihn dann auf jeden Fall."

Die Stimmung war natürlich ausgelassen. Wie soll es auch anders sein, bei so einem kollektiven Besäufnis? Dementsprechend gab es sehr offene Gespräche mit den Slowenen; ich arbeite allerdings noch daran, die Details davon aus meiner (sehr dunklen) Erinnerung hervorzukramen.


Freitag, 9. November 2012

Professor Vodnik und der imperialistische (Alp)Traum*


Ein paar Kastanien die Straße runter wohnt Professor Vodnik, ein tannenschlanker Mann, der seit vielen Jahren eine historische Affäre mit den Habsburgern unterhält.

“Kommen Sie nur herein”, sagt er, “kommen Sie nur herein” und öffnet die eichenholzige Tür sperrangelweit. “Willkommen in der österreichisch-ungarischen Botschaft.”

Vodnik lächelt wie ein Kind in Disneyland. Sein Blick schweift von Wand zu Wand, vom Boden zur Decke, vermisst den Raum mit sicherem Blick; 40 Jahre lang hat er ihn ausgestattet mit den Memorabilia eines untergegangen Reiches, mit Dolchen, Messer, Gewehren, Orden, Postern, Bügelleisen (alleine davon 25) und gestickten Bildern, die den ersten Weltkrieg stofflich feiern.

Vodnik und die Brille auf seiner Nase springen von einem zum anderen Stück, er zückt den Dolch aus der Scheide, hält sich die Orden an die Brust, hebt ein Bügeleisen und packt es mit beiden Händen, um die gußeiserne Schwere zu demonstrieren. Sein Lippen glänzen und bewegen sich zitternd, wenn er erzählt, dass er manchmal den imperalistischen Traum täumt, seine Gedanken mit dem Gold der Habsburger auskleidet, mit den Bildern von Paraden, edlen Damen und Herren, dazu klingen Mahlers “Lieder eines fahrenden Gesellen” fein in seinem Ohr.

Ja, sagt Vodnik, schön wäre das, und versinkt in dem Gedanken an die ebenso versunkene Zeit. Franz-Josef, der hatte noch Statur, wenn es heute doch noch so wäre, sagt er und seufzt.

Dann zersäbelt seine Frau ihm den bunten historischen Ballon und sagt: Igor, dein Traum wurde ein Alptraum, vergiss das nicht.

Ich verlasse Vodnik’s Zeitkapsel und gehe in die Stadt. In den Gedanken spuken die Bilder von untergegangen Reichen. Unter meinen Füßen das Kopfsteinpflaster Maribors, an den Ecken manchmal kunstvoll verzierte Straßenschilder. Eigentlich alles Wegweiser durch die Geschichte dieses Ortes.

Vorbei am Maisterplatz, der Held thront vor dem Gymnasium, nur die Kastanie neben ihm thront noch größer. Auf den Platz der Freiheit, dann in die Partisanenstraße, in die Straße des 17. Juli, ich kreuze Tito, laufe über den Boris Kidrič Platz, entlang der Befreiungsfront und den proletarischen Brigaden, mache einen Bogen und kehre über den Leon-Stuckl Platz wieder zurück.

Es gibt in Maribor 699 Plätze, Straßen, Wege, Gassen, und dampft man diese Listen der Namen ein, setzt man die Jahreszahlen chronologisch, bekommt man eine kleine, grobe und sehr kurze Geschichte einer Stadt.

Die Industriestraße, die Straße des 10. Oktober, Held Jevtiča. Jeder Name eine Erinnerung an eine vergangene Zeit, an eine vergangene Idee, an ein wegweisendes Ereignis. Meistens ohne es zu merken, laufen wir ständig mitten durch die Geschichte, mitten durch ein Gedankenmuseum.

Links der Drau sammeln sich die Straßen zur Altstadt, die wirkt wie neu geschminkt. Lange Wochen laufe ich durch sie hindurch und denke: hübsch. Dann langweilen sich die Gedanken an der Schönheit und suchen die Geschichte, die nicht gerne an der Oberfläche weilt, die, wie Itzok Simoniti schreibt, nicht nur Lehrmeisterin des Lebens sondern auch des Todes ist. Unter dicken Pflastern liegen da die Wunden der Besitzerwechsel und der Kriege, da lächeln noch siegesbewusst die Habsburger, das Königreich SHS, die Nazis und Tito. Jetzt aber ist Slowenien nur Slowenien, ein Twen unter den historischen Staatsgebilden.

Vodnik hingegen kann jungen Dingern nichts abgewinnen, er mag lieber die älteren Damen, die reiferen. Deswegen fuhr er mit dem Rad durch sein kleines ganzes Land, immer auf der Suche nach einem weiteren Stück zu seinem historischen Glück. Er lernte den Franz-Josef gut kennen, ebenso die allerliebste Sisi, auch den Bruder und die ganze andere Baggage.

Wenn sie im Jetzt passiert, scheint Geschichte immer fern zu sein. Vielleicht liegt das an diesem so flüchtigen Frieden, den ich genieße schon mein Leben lang. Ich habe die Mauer fallen sehen, die Sowjetunion zerbröseln, den Balkankrieg, Krieg in Nahost, im Irak und in Afghanistan. Ich habe es alles gesehen - aber ich habe es nicht erlebt; ich musste nicht in Uniform auf ein Schlachtfeld in der Fremde oder in der Heimat. Ein Ausrutscher der Geschichte für den ich sehr dankbar bin.

Wird alles so bleiben?, frage ich mich, als ich auf dem Weg nach Hause am Gymnasium vorbeikomme. Die Schüler lungern auf den Bänken neben General Maister, lachen, rauchen, flirten, essen.

Vielleicht sitzt einer von ihnen in 50 Jahren in der Behörde für Straßennamensgebung und überlegt welche Ereignisse es verdienen, an die neuen (oder alten) Straßenecken genagelt zu werden. Vielleicht würde ihm da die Straße des 26. Februar in den Sinn kommen, die Straße des Helden Kopanicek oder die Straße der Errettung. Ereignisse, von denen wir noch nicht die geringste Vorstellung haben.

Ein paar Tage später spaziere ich im Park, versuche zu denken unter Kastanien über die Vergänglichkeit von Ideen und über unseren festen Glauben, dass alles so bleibt wie es ist.

Ich biege ab, jetzt an Eichen entlang und treffe Vodnik wie er da geht mit zwei Hunden, die kläffen und Zähne fletschen und so groß sind wie Katzen.

"Guten Tag", sagt Herr Vodnik, "wie geht es ihnen?" Hätte er einen Hut, er würde ihn ziehen.

"Ganz gut", sage ich, und streichele die Hunde, sie versuchen mich zu beißen, etwas lächerlich mit den kleinen Zähnen.

Wie heißen sie denn?, frage ich Vodnik.

A & O, sagt er und als er sieht dass ich mich frage hinsichtlich der Namenswahl, erklärt Vodnik mit einem Lächeln auf seinen glänzenden Lippen: “Das sind die slowenischen Anfangsbuchstaben für Österreich und Ungarn.”

Alles wird immer anders, aber manches bleibt gleich und wenn die Gegenwart zur Geschichte wird, bin ich vielleicht nicht mehr da.

*Text aus der Lesung in Ljubljana

Donnerstag, 8. November 2012

Das Ende naht

Wie der Herbst geht auch langsam meine Zeit hier in Maribor zu Ende. Im Dezember werde ich wieder in Deutschland sein; jetzt sitze ich gerade an der Vorbereitung von zwei Lesungen, sortiere die Themen, über die ich noch vor meiner Abreise aus dieser schönen Stadt schreiben will.

Und während ich so über meinen Papieren brüte, dachte ich, falls jemand von Euch noch etwas hat, über das ich unbedingt schreiben sollte, dann her mit dem Vorschlag. 

Mittwoch, 7. November 2012

Turnerlegende Štukelj

Den hätte ich ja gerne kennengelernt: Leon Štukelj, slowenische Turnerlegende mit zweifellos bewegtem Leben: insgesamt 20 Medaillen, davon drei mal Gold bei den olympischen Spielen in Paris (1924) und Amsterdam (1928), Silber dann zum Karriereabschluss 1936 in Berlin. Danach arbeitete Štukelj als Richter, später, nach dem Zweiten Weltkrieg durfte er es nicht mehr, weil er nicht auf der Seite von Titos Partisanen war.

Bis ins (sehr) hohe Alter hielt sich Štukelj fit, konnte mit 90 noch aus dem Sitz in einen Handstand gehen. Sollte sich jeder von uns zum Vorbild nehmen.

1996 war er Ehrengast bei der Olympiade in Atlanta, als ältester lebender Olympiasieger, und da lief er über die Tartanbahn wie ein kleiner Junge, so leicht und behende im Gang, nicht weit entfernt von seinem 100. Geburtstag. Angeblich war er auch dem Wein nicht abgeneigt, vielleicht ein weiterer Grund für die Liebe der Slowenen zu diesem Turner.

Dienstag, 6. November 2012

Küstenperle

Gerade ist nicht besonders viel los in der Kulturhauptstadt, deswegen bin ich am Wochenende mit einem Freund nach Piran gefahren, das liegt an der (kurzen) slowenischen Küste und wird gemeinhin als Perle bezeichnet: Die Stadt befindet sich auf einer Landzunge, die ins Meer ragt, hat verwinkelte Gassen und viele Restaurants mit Meerblick. Leider wissen das auch jede Menge Touristen, die hier in Busladungen ankommen und Piran etwas von einem Freilichtmuseum geben. Bemerkenswert vor allem: ziemlich viele japanische Touristen, die sich Piran als Zeichenmotiv ausgewählt haben und an jeder Ecke der Stadt mit einer Staffette zu sehen sind. Gut, ist auch hübsch, dieses Piran. Vielleicht sogar zu hübsch, so wie der Bleder See.















Hochwasser

Am Sonntag saß ich noch mit einem Freund unten am Wasserturm an der Drau, da war sie noch so faul wie immer. Gestern aber erkannte ich sie nicht mehr wieder: ein brauner, wellenschlagender Strom, der inzwischen Teile Sloweniens unter Wasser gesetzt und Erdrutsche ausgelöst hat. Eine Stadt ist sogar komplett von der Außenwelt abgeschnitten, alle Rettungskräfte sind im Einsatz. 

Freitag, 2. November 2012

Ohne Worte