Mittwoch, 31. Oktober 2012

Sloweniens Goethe


Eigentlich wollte ich schon die ganze Zeit mal etwas über France Prešeren schreiben, kam aber irgendwie nicht dazu. Prešeren wird in Slowenien verehrt wie Goethe in Deutschland. Als er noch am Leben war, sah die Lage allerdings ganz anders aus. Wie so oft.

Prešeren (1800-1849) arbeitete die meiste Zeit seines Lebens als Angestellter einer Anwaltskanzlei in Ljubljana. Nebenbei widmete er sich der Lyrik, oft im Rahmen des neu entstehenden Nationalbewußstseins. In einer Zeit als Deutsch die lingua franca war, setzte Prešeren neue Maßstäbe der Dichtung in slowenischer Sprache. Doch sein Hautpwerk, die "Poesien", wurde nur 30 mal verkauft. 

Prešeren war ein Trinker und Schürzenjäger und dichtete unter anderem aufgrund einer unerwiderten Liebe. Als er einsam und verbittert an einer Leberzirrhose starb, hatte er sicherlich nicht die Hoffnung irgendwann im Kanon der slowenischen Literatur zu stehen. Aber so geschah es. Noch dazu singen die Slowenen als Nationalhymne die siebte Strophe seines Gedichts "Zdravljica": 

“Es leben alle Völker, die sehnend warten auf den Tag,
dass unter dieser Sonne die Welt dem alten Streit entsag!
Frei sei dann jedermann,
nicht Feind, nur Nachbar mehr fortan!”

Dienstag, 30. Oktober 2012

Casino bourgeois

Nette Ausstellung im ehemaligen Casino (schade, dass es keins mehr ist) über das Bürgerturm hier zwischen den Kriegen. Da sind ein paar ganz interessante Informationen, Bilder und Memorabilia dabei, wie zum Beispiel die Taschenapotheke im dritten Bild. Hab' ich auch noch nie von gehört.




Montag, 29. Oktober 2012

Bleder See

Da fährt man so durch Slowenien und fragt sich, wo die ganzen Touristen sind, da antwortet der Bleder See: hier!

Der See an sich ist wunderschön, warm noch dazu, aber fast die ganze Uferpromenade ist verbaut, der Verkehr zwängt sich durch die kleinen Straßen, nervt, und man hat das Gefühl, alle Touristen in Slowenien sind jetzt gerade hier an diesem See, der früher einmal der Sommersitz der jugoslawischen Königsfamilie war. Noch früher allerdings hatte sich jemand überlegt, den See zu leeren, um an den Ton auf dem Boden zu kommen, zwecks Backsteinherstellung.

Ganz offensichtlich wurde es nichts mit diesem Plan, stattdessen ist der See gesäumt mit Hotels, Spas und Restaurants. Das heißt, man muss die Augen und die Ohren ein bisschen zukneifen, die Touristen und den Lärm ausblenden, sich ein paar Jahrhunderte zurück versetzen, dann hat man das richtige Gefühl für diesen See.




Freitag, 26. Oktober 2012

Heimat*


Vor meinem Fenster schüttelt sich die Blautanne im Wind, krappbraune Kastanienblätter fegen durch die Luft, die Sonne verstrahlt Chromorange. Blätter sinken zu Boden und warten auf Kinder, die mit ihren tapsigen Füßen hindurchknarzen.

Aus meiner Wohnung am Stadtpark sehe ich ihn, wie er diese Stadt betritt, verneige mich und sage: Guten Tag, Herr Herbst.

Ich bin gerne in seiner Gesellschaft, schaue aus dem Fenster während die Sonne jeden Morgen den Nebel verbrennt, sitze an meinem Fenster wie damals meine Oma. Die saß dort jeden Tag in einer anderen Stadt, in einem anderen Land, in einem anderen Geist.

Sie saß dort viele Jahre, ihr Mann - mein Opa - war gestorben, sie vermisste ihn und sein Winken, wenn er von der Arbeit kam, sie vermisste sein Geschick am Bau eines Schwarzbrotes mit einer ersten großzügigen Etage aus Hüttenkäse und einem Dach aus Kirschmarmelade.

So lange hatte sie darauf gewartet, in dieses Deutschland zu kommen, in die alte Heimat, hatte im Kopf immer die Koffer gepackt, den Namen geflüstert als sie im Straflager in Sibirien im Winter nichts anderes zu essen hatte, als das Leder der Schuhe.

Irgendwann Alice, sagte der Vater zu ihr, gehen wir zurück in die Heimat. Irgendwann sind wir dort, wo wir hingehören.

Und trotz des Hungers und des Durstes, trotz der Kälte, der Läuse und den ständigen Beleidigungen, den Strafen und den sterbenden Freunden - so geschah es.

Eines Tages unterhielten wir uns bei einem Stück Napoleontorte in ihrer Küche, am Fenster, über diesen Moment des Grenzübertritts von einer Idee in eine andere. Was das Schönste sein sollte, endlich heimzukehren, platzierte sie in einen Zwischenraum, den sie nie wieder verlassen hatte. “Weißt Du”, sagte sie, “der Himmel hing in Deutschland doch nicht voller Geigen.” In Russland war sie die Fritzenbrut, eine Verräterin - in Deutschland, ihrer Heimat, nach der sie sich so viele Jahre gesehnt hatte, die sie sich in einem mentalen Bilderbuch - schön bunt - ausgemalt hatte, hier war sie die Russin.

Am Ende saß sie am Fenster und schaute die lange Straße hinab, die sie gegangen war und wünschte sich, dass um die Ecke ihr Mann Richard käme und winkte, damit sie wenigstens zu zweit in ihrer Sehnsucht nach einer Heimat wären.

Es schüttelt mich bei dem Gedanken, bei dem Gedanken an die Einsamkeit meiner Oma am Ende ihres Lebens, dort wo sie am schlimmsten schmerzt. Ich muss mir eine Jacke anziehen gegen die Kälte, denke mir, dann kann ich auch gleich vor die Tür gehen, den Herbst genießen, wenn es Oma schon nicht mehr kann. Nie wieder werden wir gemeinsam spazieren, ein Gedanke so kalt wie der nahende Winter.

Ich schließe die Wohnung ab, wie ich schon viele Räume abgeschlossen habe in meinem Leben, und gehe hinein in den Stadtpark, durch das Spalier der Kastanien, sie heben die Äste zur Krone, stelle ich mir vor.

30 Mal bin ich umgezogen, das sind 30 verschiedene Hausschlüssel für 14 Städte auf 3 Kontinenten. Manche Schlüssel habe ich noch, manche habe ich verloren, manche weggeschmissen. Alle diese Räume, alle waren sie einmal neu, bis ich mich dort eingerichtet habe oder überstürzt abgereist bin.

Für jemanden mit so vielen Schlüsseln ist Heimat ein merkwürdiges Konzept. Es soll eine Raumorientierung sein, ein Bunker vor der Fremde.

Doch lässt sich nicht in der Fremde am besten die Heimat erkennen? Im Vergleich fällt einem doch vieles leichter. Und wie kann ich von Heimat reden, wenn ich meinen Anker an vielen Stellen im Weltmeer hab fallen lassen? Heimat hat keinen Plural, sagt der Dudendiktator.

Vorbei am Restaurant zu den Drei Teichen. Hier standen einst die Türken vor den Toren der Stadt, fast wäre es geschehen gewesen um die Heimat der Slowenen.

Schnell geht es bergauf, hinein in die Weinberge. Unten meinen Füßen knistern die Kiesel, ich senke meinen Kopf und denke an die Menschen, die auf den Treks während des zweiten Weltkriegs nach Heimat lüsteten, Menschen, die sich nicht fragen mussten, was das wohl sein, Heimat. Die hatten ganz andere Probleme.

Denke ich an Herder, dann ist Heimat ein Ort an dem ich mich nicht erklären muss. Halte ich es aber mit dem Russen Sinawski, dann ist Heimat kein geographischer Begriff. Man trägt sie in sich, schreibt er.

Oben an der Kapelle nehme ich Platz auf den Steinstufen und schaue auf die Stadt, die mir gerade Asyl bietet. Kann man eine Heimat neu gewinnen, so dass ihre Bilder später am Ende des Lebens zuerst auf dem See der Erinnerung schwimmt?

In Maribor bin ich zu kurz dafür, sagt mir meine Erfahrung als Flüchtling, und doch sind fünf Monate eine gute Zeit, um die Menschen lachen und weinen zu sehen, um den Regen zu verfluchen und die Sonne zu lieben, um Wein zu trinken und die Schatten länger werden zu sehen, um den Herbst den Sommer ablösen zu sehen. Nach einem Tag hat man vielleicht einen Geschmack von einer Stadt, aber er bleibt flach und ohne Körper. Ihr Bild entfaltet sich langsam, von Stunde zu Stunde.

Links, im Osten liegt Melje, die ehemalige Heimat von Fabriken und Arbeitern. Geradezu das jüdische Viertel, davor die Anlegestelle der Flößer, die immer nur für kurze Zeit Asyl suchten. Auf der anderen Drauseite sind Chinesen ganz weit weg von ihrer Heimat und irgendwo zwischen dem ganzen Gewühl aus rotdachigen Häusern warten Schwärme von Teenagern auf Startfreigabe, auf der Suche nach einem anderen Klima.

In anderen Zeiten war Heimat ein nüchterner Begriff. Jeder wußte, wo sie war. Dann kam die Industrialisierung, die Verstädterung und mit der Mobilität die Entwurzelung des Menschen, aufgefangen von der Romantik, die erst macht Heimat zur Sehnsucht. Es ist aber auch ein Wort, das so schön über die Zunge fließt: Heimat. Es hört sich gemütlich an, es bringt das Bild einer guten alten Zeit hervor, egal ob sie es tatsächlich war oder nicht.

Die Hügel Sloweniens erinnern mich an den Taunus, dort wo ich herkomme, eine Landschaft deren Geometrie mir immer ein Gefühl von zu Hause gibt, irgendwo tief im Innern, auch wenn der Geruch, der Stadt, der Straße und des Waldes ein anderer ist. Vielleicht fehlt nur hier und dort ein Molekül, doch es ist deutlich genug, um blind verkosten zu können.

Ich blicke nach drüben auf das Pohorje-Gebirge, denke an die Gräber in den dunklen Fichtenwäldern, denke an das Grab meiner Oma, die sich durchkämpfte und Stalin überlebte, damit ich mir hier an dieser Kapelle freie Gedanken machen kann. Was würde sie sagen zu meinen zahlreichen Asylgesuchen, zu meinen Umzügen, zu meiner Unsesshaftigkeit?

Ich weiß es nicht. Aber ich würde ihr sagen: Oma, das ist meine Versicherung gegen das Vergessen. Jeder Umzug schärft die Gedanken und die Sinne und lässt mein Leben in bessere Abschnitte teilen. Ich muss immer wieder neue Räume einrichten, damit ich nicht bequem werde.

Vielleicht würde sie dann sagen: So wirst du dich nie zu Hause fühlen.
Könnte sein, würde ich zugeben. Vielleicht aber, vielleicht gibt es doch einen Plural.

*Text aus der Lesung in Ljubljana

Donnerstag, 25. Oktober 2012

Ein Gespenst geht um in Maribor

Eigentlich sind es sogar zwei: das eine ist der Winter (oh nein, kein Kaffee mehr, kein Wein, kein Bier in der Sonne auf dem Schloßplatz), das andere die Frage der Nachhaltigkeit eines Kulturhauptstadtjahrs.

Gestern wurde zu letzterem in Maribor diskutiert. Die Rede war von den langfristigen kulturellen, ökonomischen und sozialen Vorteilen dieses Titels, vom Prestige und dem Gewissen, dass Maribor nun europaweit ein Begriff sei.

Drago Jančar war auch auf dem Podium und bemängelte allerdings, dass keines der geplanten Infrastruktur-Projekte verwirklicht wurde. Er fand aber auch, dass die Stadt durch den Einfluss der kulturellen Veranstaltungen, durch die Künstler und die Touristen wärmer geworden sei, dynamischer.

Was davon bleibt, wird sich erst viel später zeigen, über so viel war man sich klar. Auch darüber, dass ein neues Image (von der Industrie- zur Kulturstadt) nicht in einem Jahr erreicht werden kann. Das Motto des "Turning Point" müsste eigentlich weit über den kommenden Winter hinaus beackert werden.

Ich werde mal bei Gelegenheit mal schauen, wie sich das Kulturjahr in Zahlen übersetzen lässt.

Ars Scribendi

Ich bin ja ein Fan von alten Büchern und dem Gedanken an die Zeit, die in ihnen steckt. Im Andraneum stellt die Erzdiözese gerade ein paar Schmuckstücke aus ihrem Archiv aus. Was für schöne Objekte, die meisten aus dem 14. Und 15. Jahrhundert.

Dienstag, 23. Oktober 2012

Am Ende des Tals

Kleiner Ausflug mit J. nach Logarska Dolina, ein Tal in den Saviner Alpen, etwa 120 westlich von Maribor. Wandern durch die Bergrücken mit offenen Mündern, weil das Licht sanft wie eine Feder fällt und die Herbstfarben die Augen umarmen. Wenn mehr Menschen wüßten, wie schön Slowenien ist, wäre es hier gerammelt voll.

Am Ende des Tals ein Wasserfall und die verrückte Idee, eine Bar aus Holz in die Luft zu bauen.

Ein paar Meter neben uns stürzt und rauscht das Wasser. Wir trinken Heidelbeerschnaps, reden, lachen, atmen die mineralige Luft, schmecken, wie schön das Leben sein kann. Später überfällt der Mond die einsetzende Dunkelheit und vertreibt den Sternenhimmel. Gut, man kann eben nicht alles haben.