Freitag, 30. November 2012

Einladung zur Abschlusslesung

Gerade fliegt mir die Zeit davon und ich sehe mich schon in Berlin auf dem Weihnachtsmarkt. Davor steht aber noch meine Abschlusslesung in Maribor an, was heißt, dass ich am Wochenende noch fleißig ein paar Texte für das (jetzt) verwöhnte Publikum von Sloweniens "Second City" zimmern muss.

Ich freue mich (natürlich!) über zahlreiches Erscheinen von Interessierten an den Stadtschreibergedanken. Die Lesung findet statt am Montag, 3.12.2012, um 18:00 in der Vetrinjska ulica 30.

Donnerstag, 29. November 2012

Letzte Momentaufnahmen

Vielleicht der letzte Spaziergang am Flußufer. Auf der anderen Seite die Pfarrkirche des heiligen Josef, links geht's in das ehemalige Eisenbahnerviertel. Zum Abschied noch mal 18 Grad, der Winter will noch nicht kommen. Gefällt mir.

Mittwoch, 28. November 2012

Abschiedstournee

Großartigerweise schon wieder Besuch aus Deutschland; perfekte Entschuldigung, um noch ein bisschen durch das Land zu fahren, noch ein bisschen was zu sehen von diesem schönen Slowenien, bevor es am Ende der nächsten Woche wieder nach Hause geht.

Also sind wir zuerst nach Skofja Loka gefahren, einer der ältesten Städte in Slowenien. Ich denke, das Bild sagt alles.


Von da ging es weiter durch über die Dörfer und eine großartige Paßstraße zum Bohinj-See. Vor ein paar Monaten war ich ja schon mal in Bled, aber von dem ganzen Tourismus dort nicht so angetan. Bohinj hingegen (vielleicht auch nur zu dieser Jahreszeit) war an diesem Wochenende eine Oase der Ruhe. Es hilft natürlich auch, wenn eine Seite unbebaut bleibt.




Die Sonne ging leider viel zu schnell unter und im Dunkeln hatten die ganzen leeren Hotels etwas gruseliges; Kirchenglocken läuteten, aber keiner begab sich zum Gottesdienst.

Wir sind dann weiter nach Ljubljana. Richtig ausgehen wollten wir. Aber unsere Erlebnisse in der Hauptstadt sind schon Stoff für den nächsten Eintrag.



Dienstag, 27. November 2012

Kangler ohne Ende

Ausnahmezustand herrscht also nicht nur in Maribor wenn Dinamo Zagreb zu Gast ist, sondern auch wenn der Bürgermeister einfach nicht aus seinem Amt scheiden will.

In den letzten Tagen gab es immer wieder Demos, aber die Veranstaltung gestern war eine andere Nummer: stundenlang explodierten Böller am Maisterplatz (ungefähr 50 Meter Luftlinie von mir), sperrten Polizisten in Vollmontur die Straßen und kreisten Hubschrauber über dem Gebiet.

Und das im beschaulichen Maribor.

Freitag, 23. November 2012

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit*

Unterwegs in Maribors Wäldern, langsames Gehen zwischen Platanen, Sommerlinden und Rotbuchen. Wenn man mal darüber nachdenkt, gibt es unheimlich viele schöne Baumnamen, ein ganzes Kompendium, das den meisten vielleicht fremd ist. Das gilt auch für die Pilze, die gerade Saison haben, die in den Wäldern gepflückt werden von Männern mit Mützen und Zigaretten im Mundwinkel: Scheibenstreiflinge, Stockschwämmchen, flockenstielige Hexenröhrlinge.

Die Schritte durch das Laub setze ich in einer Geschwindigkeit, in der es sich behende denken lässt. Irgendwas an dieser Tempo-Gedanken-Kombination fühlt sich natürlich an, ursprünglich. Bruce Chatwin, der britische Reiseschriftsteller sagte einmal, “Das Leben ist eine Reise, die am besten zu Fuß bewältigt wird.” Ich bin geneigt, ihm Recht zu geben.

Nur, diese Art des Gehens, das auf das Diktum “je länger desto besser” angewiesen ist, sie kostet Zeit.

Genau die Art Zeit, die viele nicht mehr haben. Früher habe ich von meinen Freunden immer gehört “nee, können wir nicht machen. Kein Geld.” Heute heißt es hingegen immer “nee, geht nicht. Keine Zeit.”

Durch einen Wald von Stieleichen komme ich zu einer Kapelle und lese die Inschrift. Sie ist Station eines Kreuzwegs, den die Überlebenden der Pest in Maribor im Jahre 1683 gebaut haben. Ich folge dem Weg, denke an diese gläubigen Menschen, für die der Aufenthalt im Diesseits noch nichts weiter als eine Durchgangsstation war. Das wahre Leben, das war hinter den Toren aus Perlmutt.
Heute sehen das die meisten anders. Und doch verschwenden wir unsere Zeit. Indem wir sie nicht ausnutzen.

Jeder Europäer schaut im Durchschnitt 232 Minuten Fernsehen pro Tag. Umgerechnet auf ein ganzes Jahr sind das etwa 45 Tage vor dem Bildschirm, Tag und Nacht. Ist das nicht traurig? Und trotzdem hat keiner Zeit?

Das schlimme am Älterwerden ist, dass sich das Empfinden für Zeit ändert. Sie vergeht schneller. Manchmal höre ich mich schon an wie meine Mutter, wenn ich sage: Wahnsinn wie schnell die Zeit vergeht. Meine Mutter freut sich natürlich über meine neu gewonnen Einstellung und nickt.

Plötzlich stoßen Begriffe wie “früher” und “damals” an die Oberfläche. Begriffe, die es im Vokabular eines Teenagers genauso wenig gibt, wie eine Antwort auf die Frage nach dem Ende des Universums.

Der Weg führt einen Berg hinauf, ein schmaler Streifen von festgetretener Erde, an manchen Stellen die quetschenden Hufspuren von Pferden. Kavalirje nennt sich dieser Hügel und auf der Spitze haben die Überlebenden eine Kirche gebaut. Die ganzen Steine hier hoch geschleppt, an der Außenwand der Kirche der heiligen Barbara und Rosalia Statuen von Jesus und Maria angebracht. Ein Ort, der grimm-märchenhaft im Wald lauert, überwachsen von den Kronen der Linden. Zeitlos setze ich mich auf eine Bank davor.

Was könnten wir erreichen, wenn wir unsere Zeit nicht so verschwenden würden? So vieles verschieben wir auf morgen, planen es in fünf, in zehn Jahren, wenn mal Ruhe dazu ist, wenn mal Zeit dafür da ist; vielleicht sind wir aber dann schon längst andere Menschen geworden.

Die Revolutionen und die Kriege der Vergangenheit haben uns in die freiste Gesellschaft aller Zeiten gebracht. Frei im Handeln, frei in Gedanken, gelenkt von Kant und Kyrene. Sicher verankert in einem Sozialsystem, nach dem sich Bewohner von vergangenen Jahrhunderten die Finger lecken würden. Irgendwann werden wir zurück schauen und uns fragen, wo die Zeit geblieben ist. Vielleicht werden dann schon die schlechten Zeiten angebrochen sein.

Wenn nur jeder Zweite so eine (metaphorische) Kirche bauen würde, wenn wir uns wieder konzentrieren würden auf die wirklich wichtigen Dinge, wir uns wieder Ziele stecken würden, wenn wir Abenteuer planen und sie ausführen würden, wenn wir mehr Energie und Zeit investieren würden, um diese Welt zu verbessern - wir wären sicherlich zufriedener. Vielleicht sogar glücklich.

Aber das alles braucht Zeit, wie guter Wein. Und wenn ich mir anschaue, wie ich selbst oft mit meiner Zeit umgehe, wie Freunde von mir sie nicht schätzen, wie Bekannte und andere Menschen der Zeit nicht befehlen, ihnen Untertan zu sein, muss ich an einen Spruch denken, den ich vor vielen Jahren von einem Soldaten gehört habe, der mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf geht. In Afghanistan sagt man: Die im Westen haben die Uhr, aber wir haben die Zeit.

*Text aus der Lesung in Ljubljana

Donnerstag, 22. November 2012

Der Stadtschreiber in der Zeitung

Der Večer hat sich der Lesung in der vergangenen Woche angenommen und einen Artikel darüber veröffentlicht. Ist zwar auf slowenisch (klar), aber das sollen ja einige hier beherrschen. Ich habe mir den Text selbst durch den Übersetzer von Google gejagt, und soweit ich das beurteilen kann wurde ich nicht beschimpft. Ni slabo.

Hier gibt es auch eine Online-Version, die ist aber anscheinend nicht ganz vollständig.

Dienstag, 20. November 2012

Lesung Nr. 2

Das war eine ganz andere Nummer als die erste, damals in Ljubljana. Diesmal war die Lesung gleich Teil eines Seminars am Germanistik-Institut der Universität in Maribor und lief unter dem Titel "Archäologie der Fremde".

Ich wußte vorher nicht so genau, was mich erwarten würde. Der Prof. Dejan Kos hatte mir zwar gesagt, dass die Studenten etwas in der Richtung von Essays vorbereiten würden, aber ich war dann doch überrascht, als mir klar wurde, dass sich da Referatsgruppen gebildet hatten, die sich einzig und allein mit mir und dem Blog des Stadtschreibers beschäftigen mussten.

Also: ich fühlte mich wirklich sehr geehrt, auch wenn ich natürlich weiß, dass diese Entscheidung von den Studenten nicht freiwillig getroffen wurde. Aber die meisten haben sich wirklich Mühe gegeben: sezierten meinen Blog nach den Gesichtspunkten "Geschichte, Kulinarik, Sport, Bildung und Kultur", zitierten aus meinen Texten (Wahnsinn!) und stellten mir eine Menge kluge Fragen.

Nach dieser sehr interaktiven Phase, für die ich mich hier nochmal bei den Studenten bedanken möchte, habe ich ein paar neue Texte gelesen. Vor allem eine Geschichte über den Martinstag, den unbeliebten Bürgermeister (hätte nicht gedacht, dass allein sein Name solch' eine Reaktion auslösen kann) und Stereotype über Slowenen schien ziemlich gut angekommen zu sein, mal nach dem Gelächter beurteilt und wenn Studenten lachen ist ja schon was gewonnen - außer sie haben über mich gelacht.

Mein Dank gebührt auch Dejan Kos für die Idee und das inspirierende Eingangsreferat, sowie Veronika Haring für die Organisation. Hvala lepa.

Allerdings, bei aller Freude, eines ist mir dann doch negativ aufgefallen: im Gegensatz zu meiner ersten Lesung gab es für den Stadtschreiber keinen Whisky. Gut, vielleicht ist um die Mittagszeit auch einfach zu früh dafür.

Montag, 19. November 2012

Aufstand in Maribor

Es gibt ja hier so ein paar Themen (wie überall wohl) über die es sich mit jedermann hervorragend lästern lässt: zum Beispiel der Zustand der Eisenbahn (traurig, schlimm, unhaltbar, rückständig, absurd). Was allerdings die Mariborer regelmäßig auf die Palme treibt, ist vor allem ein Name: France Kangler, der Bürgermeister. Über mein Erlebnis mit ihm hatte ich ja hier schon berichtet.

Jetzt hat es der Bürgermeister allerdings wohl auf die Spitze getrieben, indem er überall mobile Blitzer hat aufstellen lassen. Da ist dann das Fass übergelaufen und die Einwohner haben sich zu einer Demo vor der Verwaltung (direkt bei mir um die Ecke) versammelt (nebenbei sollen sich einige die Nummernschilder überklebt haben), Bengalos angezündet und Kangler aufgefordert, rauszukommen. Hat er natürlich nicht gemacht, wäre er ja auch schön blöd.



Schattenspiel





Florianssäule in der Altstadt.

Montag, 12. November 2012

Fahrraddiebe

Oh Mann, wie peinlich mir das ist. Der außerordentlich nette, hiesige Germanistikdozent hat mir sein Fahrrad geliehen, damit ich mir nicht immer die Füße wundlaufen muss. Ein richtig gutes Mountainbike war das. Hatte extra noch mein Schloss aus Berlin mitgebracht, weil mir die örtlichen bisschen zu dünn vorkamen (und ich deswegen dachte, na, Diebstahl scheint hier nicht das Problem zu sein). Falsch gedacht. Seit Samstag ist es weg. Schön vorm Fitness-Studio die Schlösser mit dem Bolzenschneider durchgeschnitten.

Das ganze Desaster hat mich dann immerhin zu meiner ersten Erfahrung mit der slowenischen Polizei geführt. Direkt angerufen (vielleicht erwischen sie den Dieb ja noch), die Polizei sagt, ja, wir kommen vorbei. Allerdings sagen sie nicht wann. Nach 45 Minuten erfolglosem Warten bin ich dann selbst auf die Wache gegangen.

Dort durfte ich schon wieder warten. Schließlich kamen zwei Streifenpolizisten und nahmen den Fall auf. Aber nicht ohne mir das Gefühl zu geben, dass ich der Verbrecher sei. War irgendwie eine ostige Erfahrung. Haben nämlich auch schnell nachprüfen wollen, wo ich vorher war, und ein Anruf genügte um rauszufinden, dass ich vor zwei Monaten in einem Hotel in Jeruzalem, einem kleinen Weinort hier im Osten, übernachtet habe. Das fand ich doch bisschen gruselig.

Na ja, so ist das gerade. Ätzend. Wer also ein rot-weißes Mountainbike der Marke Vertiec durch die Gegend fahren sieht....

Drei Farben Gelb

Während sich in Deutschland das Laub ja schon verabschiedet hat (wie mir zu Ohren gekommen ist), klammert es sich hier immer noch an die Äste. Traumhaft.








Blaues Maribor

Traditionell auch Martinstag genannt. Findet eigentlich am 11. November statt, aber weil der Tag auf einen Sonntag fiel, die Leute am Montag ja arbeiten müssen, wurde kurzerhand am Freitag gefeiert: ab 10 Uhr morgens tönte Umpah-Musik durch die Stadt und die Leute scharrten sich um die Wein- und Essens-Stände.

Die Mariborer selbst sagen: "Du kannst jemand das ganze Jahr nicht sehen; hier triffst du ihn dann auf jeden Fall."

Die Stimmung war natürlich ausgelassen. Wie soll es auch anders sein, bei so einem kollektiven Besäufnis? Dementsprechend gab es sehr offene Gespräche mit den Slowenen; ich arbeite allerdings noch daran, die Details davon aus meiner (sehr dunklen) Erinnerung hervorzukramen.


Freitag, 9. November 2012

Professor Vodnik und der imperialistische (Alp)Traum*


Ein paar Kastanien die Straße runter wohnt Professor Vodnik, ein tannenschlanker Mann, der seit vielen Jahren eine historische Affäre mit den Habsburgern unterhält.

“Kommen Sie nur herein”, sagt er, “kommen Sie nur herein” und öffnet die eichenholzige Tür sperrangelweit. “Willkommen in der österreichisch-ungarischen Botschaft.”

Vodnik lächelt wie ein Kind in Disneyland. Sein Blick schweift von Wand zu Wand, vom Boden zur Decke, vermisst den Raum mit sicherem Blick; 40 Jahre lang hat er ihn ausgestattet mit den Memorabilia eines untergegangen Reiches, mit Dolchen, Messer, Gewehren, Orden, Postern, Bügelleisen (alleine davon 25) und gestickten Bildern, die den ersten Weltkrieg stofflich feiern.

Vodnik und die Brille auf seiner Nase springen von einem zum anderen Stück, er zückt den Dolch aus der Scheide, hält sich die Orden an die Brust, hebt ein Bügeleisen und packt es mit beiden Händen, um die gußeiserne Schwere zu demonstrieren. Sein Lippen glänzen und bewegen sich zitternd, wenn er erzählt, dass er manchmal den imperalistischen Traum täumt, seine Gedanken mit dem Gold der Habsburger auskleidet, mit den Bildern von Paraden, edlen Damen und Herren, dazu klingen Mahlers “Lieder eines fahrenden Gesellen” fein in seinem Ohr.

Ja, sagt Vodnik, schön wäre das, und versinkt in dem Gedanken an die ebenso versunkene Zeit. Franz-Josef, der hatte noch Statur, wenn es heute doch noch so wäre, sagt er und seufzt.

Dann zersäbelt seine Frau ihm den bunten historischen Ballon und sagt: Igor, dein Traum wurde ein Alptraum, vergiss das nicht.

Ich verlasse Vodnik’s Zeitkapsel und gehe in die Stadt. In den Gedanken spuken die Bilder von untergegangen Reichen. Unter meinen Füßen das Kopfsteinpflaster Maribors, an den Ecken manchmal kunstvoll verzierte Straßenschilder. Eigentlich alles Wegweiser durch die Geschichte dieses Ortes.

Vorbei am Maisterplatz, der Held thront vor dem Gymnasium, nur die Kastanie neben ihm thront noch größer. Auf den Platz der Freiheit, dann in die Partisanenstraße, in die Straße des 17. Juli, ich kreuze Tito, laufe über den Boris Kidrič Platz, entlang der Befreiungsfront und den proletarischen Brigaden, mache einen Bogen und kehre über den Leon-Stuckl Platz wieder zurück.

Es gibt in Maribor 699 Plätze, Straßen, Wege, Gassen, und dampft man diese Listen der Namen ein, setzt man die Jahreszahlen chronologisch, bekommt man eine kleine, grobe und sehr kurze Geschichte einer Stadt.

Die Industriestraße, die Straße des 10. Oktober, Held Jevtiča. Jeder Name eine Erinnerung an eine vergangene Zeit, an eine vergangene Idee, an ein wegweisendes Ereignis. Meistens ohne es zu merken, laufen wir ständig mitten durch die Geschichte, mitten durch ein Gedankenmuseum.

Links der Drau sammeln sich die Straßen zur Altstadt, die wirkt wie neu geschminkt. Lange Wochen laufe ich durch sie hindurch und denke: hübsch. Dann langweilen sich die Gedanken an der Schönheit und suchen die Geschichte, die nicht gerne an der Oberfläche weilt, die, wie Itzok Simoniti schreibt, nicht nur Lehrmeisterin des Lebens sondern auch des Todes ist. Unter dicken Pflastern liegen da die Wunden der Besitzerwechsel und der Kriege, da lächeln noch siegesbewusst die Habsburger, das Königreich SHS, die Nazis und Tito. Jetzt aber ist Slowenien nur Slowenien, ein Twen unter den historischen Staatsgebilden.

Vodnik hingegen kann jungen Dingern nichts abgewinnen, er mag lieber die älteren Damen, die reiferen. Deswegen fuhr er mit dem Rad durch sein kleines ganzes Land, immer auf der Suche nach einem weiteren Stück zu seinem historischen Glück. Er lernte den Franz-Josef gut kennen, ebenso die allerliebste Sisi, auch den Bruder und die ganze andere Baggage.

Wenn sie im Jetzt passiert, scheint Geschichte immer fern zu sein. Vielleicht liegt das an diesem so flüchtigen Frieden, den ich genieße schon mein Leben lang. Ich habe die Mauer fallen sehen, die Sowjetunion zerbröseln, den Balkankrieg, Krieg in Nahost, im Irak und in Afghanistan. Ich habe es alles gesehen - aber ich habe es nicht erlebt; ich musste nicht in Uniform auf ein Schlachtfeld in der Fremde oder in der Heimat. Ein Ausrutscher der Geschichte für den ich sehr dankbar bin.

Wird alles so bleiben?, frage ich mich, als ich auf dem Weg nach Hause am Gymnasium vorbeikomme. Die Schüler lungern auf den Bänken neben General Maister, lachen, rauchen, flirten, essen.

Vielleicht sitzt einer von ihnen in 50 Jahren in der Behörde für Straßennamensgebung und überlegt welche Ereignisse es verdienen, an die neuen (oder alten) Straßenecken genagelt zu werden. Vielleicht würde ihm da die Straße des 26. Februar in den Sinn kommen, die Straße des Helden Kopanicek oder die Straße der Errettung. Ereignisse, von denen wir noch nicht die geringste Vorstellung haben.

Ein paar Tage später spaziere ich im Park, versuche zu denken unter Kastanien über die Vergänglichkeit von Ideen und über unseren festen Glauben, dass alles so bleibt wie es ist.

Ich biege ab, jetzt an Eichen entlang und treffe Vodnik wie er da geht mit zwei Hunden, die kläffen und Zähne fletschen und so groß sind wie Katzen.

"Guten Tag", sagt Herr Vodnik, "wie geht es ihnen?" Hätte er einen Hut, er würde ihn ziehen.

"Ganz gut", sage ich, und streichele die Hunde, sie versuchen mich zu beißen, etwas lächerlich mit den kleinen Zähnen.

Wie heißen sie denn?, frage ich Vodnik.

A & O, sagt er und als er sieht dass ich mich frage hinsichtlich der Namenswahl, erklärt Vodnik mit einem Lächeln auf seinen glänzenden Lippen: “Das sind die slowenischen Anfangsbuchstaben für Österreich und Ungarn.”

Alles wird immer anders, aber manches bleibt gleich und wenn die Gegenwart zur Geschichte wird, bin ich vielleicht nicht mehr da.

*Text aus der Lesung in Ljubljana

Donnerstag, 8. November 2012

Das Ende naht

Wie der Herbst geht auch langsam meine Zeit hier in Maribor zu Ende. Im Dezember werde ich wieder in Deutschland sein; jetzt sitze ich gerade an der Vorbereitung von zwei Lesungen, sortiere die Themen, über die ich noch vor meiner Abreise aus dieser schönen Stadt schreiben will.

Und während ich so über meinen Papieren brüte, dachte ich, falls jemand von Euch noch etwas hat, über das ich unbedingt schreiben sollte, dann her mit dem Vorschlag. 

Mittwoch, 7. November 2012

Turnerlegende Štukelj

Den hätte ich ja gerne kennengelernt: Leon Štukelj, slowenische Turnerlegende mit zweifellos bewegtem Leben: insgesamt 20 Medaillen, davon drei mal Gold bei den olympischen Spielen in Paris (1924) und Amsterdam (1928), Silber dann zum Karriereabschluss 1936 in Berlin. Danach arbeitete Štukelj als Richter, später, nach dem Zweiten Weltkrieg durfte er es nicht mehr, weil er nicht auf der Seite von Titos Partisanen war.

Bis ins (sehr) hohe Alter hielt sich Štukelj fit, konnte mit 90 noch aus dem Sitz in einen Handstand gehen. Sollte sich jeder von uns zum Vorbild nehmen.

1996 war er Ehrengast bei der Olympiade in Atlanta, als ältester lebender Olympiasieger, und da lief er über die Tartanbahn wie ein kleiner Junge, so leicht und behende im Gang, nicht weit entfernt von seinem 100. Geburtstag. Angeblich war er auch dem Wein nicht abgeneigt, vielleicht ein weiterer Grund für die Liebe der Slowenen zu diesem Turner.

Dienstag, 6. November 2012

Küstenperle

Gerade ist nicht besonders viel los in der Kulturhauptstadt, deswegen bin ich am Wochenende mit einem Freund nach Piran gefahren, das liegt an der (kurzen) slowenischen Küste und wird gemeinhin als Perle bezeichnet: Die Stadt befindet sich auf einer Landzunge, die ins Meer ragt, hat verwinkelte Gassen und viele Restaurants mit Meerblick. Leider wissen das auch jede Menge Touristen, die hier in Busladungen ankommen und Piran etwas von einem Freilichtmuseum geben. Bemerkenswert vor allem: ziemlich viele japanische Touristen, die sich Piran als Zeichenmotiv ausgewählt haben und an jeder Ecke der Stadt mit einer Staffette zu sehen sind. Gut, ist auch hübsch, dieses Piran. Vielleicht sogar zu hübsch, so wie der Bleder See.















Hochwasser

Am Sonntag saß ich noch mit einem Freund unten am Wasserturm an der Drau, da war sie noch so faul wie immer. Gestern aber erkannte ich sie nicht mehr wieder: ein brauner, wellenschlagender Strom, der inzwischen Teile Sloweniens unter Wasser gesetzt und Erdrutsche ausgelöst hat. Eine Stadt ist sogar komplett von der Außenwelt abgeschnitten, alle Rettungskräfte sind im Einsatz. 

Freitag, 2. November 2012

Ohne Worte